Royer-Collard

[758] Royer-Collard (Pierre Paul), Mitglied der franz. Akademie, geb. 1763, gehört zu den durch ihre wissenschaftliche und politische Wirksamkeit ausgezeichnetsten Männern Frankreichs, und war vor 1789 Advocat beim Parlamente zu Paris. Im Aug. 1792 bekleidete er das Amt eines Gemeindesecretairs, übersah aber bei seiner gründlichen Bildung zu sehr das Überspannte der einander entgegenstehenden Richtungen und mußte als gemäßigter Freund der Freiheit die Schreckensherrschaft verabscheuen. Daher trat er aus dem Gemeinderath und verschwand mit der Partei der Girondisten (s.d.), der er noch am meisten befreundet war, einige Zeit ganz vom politischen Schauplatze. Den Gefahren der Schreckenszeit glücklich entgangen, ward er 1797 vom Marnedepartement in den Rath der Fünfhundert erwählt, allein bald wieder als Royalist ausgeschlossen. Er lebte seitdem in der Zurückgezogenheit theils den Wissenschaften, theils arbeitete er, und wie man glaubt, schon damals nicht unbelohnt, mit Gleichgesinnten für die Herstellung der später noch zweimal vertriebenen Bourbons. Nachdem R. 1811 Dekan an der Faculté des lettres und Professor der Geschichte und neuern Philosophie geworden, begann sein wissenschaftlicher, jedoch hauptsächlich als Lehrer ausgeübter Einfluß, da er als Schriftsteller fast nur mit kleinern Arbeiten und mit einigen Übersetzungen aus dem Englischen aufgetreten ist. Während der ersten Restauration ward R. zum Generaldirector des Buchhandels und zum Staatsrathe ernannt, welche Würden er nach Napoleon's Rückkehr niederlegte, nach der zweiten Herstellung der Bourbons aber trat er von Neuem in den Staatsrath, und als Präsident der königl. Commission für den öffentlichen Unterricht ins Ministerium. Bis 1819 wirkte R. in dieser einflußreichen Stellung, zog sich aber durch seine das Beste des Landes und die Aufrechthaltung der Charte vor Allem im Auge behaltenden Bestrebungen die Abneigung des Hofes zu, nahm daher seine Entlassung und hielt sich nun beharrlich zur gesetzlichen Opposition. Indem er gegen die Aufhebung des Wahlgesetzes von 1817, gegen die Bewilligung der hundert Millionen zu dem Kriege wider Spanien, gegen das Sacrilegiengesetz und andere von den Ultraroyalisten beantragte Maßregeln mit der ganzen Kraft seiner Einsicht und Beredtsamkeit auftrat, erwarb er sich die außerordentliche Popularität, deren er noch immer genießt, und galt bis 1830 für das Haupt der sogenannten Doctrinaires (s.d.). Obgleich mehrmals zum Präsidenten der Deputirtenkammer mit vorgeschlagen, erhielt er doch erst 1828, 1829 und 1830 als solcher die Bestätigung des Königs, dem er 1830 auch jene berühmte, von R. verfaßte Adresse der 221 (Deputirten) überreichte. Der Juliusrevolution selbst blieb er völlig fremd, und nur bei seltenen wichtigen Gelegenheiten nahm der hochbejahrte R. in der Deputirtenkammer, der er fortwährend angehörte, noch das Wort, um seine alten politischen Freunde und zum Theil zu hohen Stellen gelangten Schüler, zu denen auch Guizot gehört, zu unterstützen, ohne sich jedoch von seinen eignen Grundsätzen deshalb zu entfernen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 758.
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