Tonsur

[449] Tonsur heißt die kleine Glatze, welche katholischen Priestern und Ordensgliedern, den Mönchen, unmittelbar vor ihrer eigentlichen Weihe geschoren und als ein Zeichen der Verleugnung der Welt und ihrer Eitelkeiten angesehen wird. Die alte christliche Kirche wußte von dieser Sitte nichts, das Scheeren des Haupthaares war sogar streng verboten, damit der Christ nicht etwa mit den Götzendienern, mit den Priestern der Serapis, Isis und anderer Gottheiten verglichen werden möchte. Zuerst ließen sich büßende Sünder scheeren, die Mönche ahmten es nach, das Haupt sich scheeren zu lassen, und zwar ganz glatt. Als sie zuerst in Karthago mit Glatzen auftraten, wurden sie vom Volke verhöhnt. Benedict von Noursia führte die Tonsur unter den Gliedern seines Ordens ein, und seit dieser Zeit wurde sie allmälig auch unter den Geistlichen allgemein. Im 7. Jahrh. schor man nur das Obertheil des Hauptes, das untere Theil betrachtete man als das Bild der Dornenkrone. Diese Tonsur nannte man die Krone der Priester (corona clericorum). Jetzt galt auch die Tonsur als eine nur den Priestern und Mönchen zugehörige Tracht, und der Tonsur beraubt zu werden, wurde als Strafe angesehen. Seit dem 8. Jahrh. kannte man drei Arten Tonsuren, eine röm., griech. und schot. oder brit. Tonsur. Die röm. Tonsur, welche auf einer Synode zu Toledo im I. 633 den Geistlichen gesetzlich vorgeschrieben wurde, besteht in einer kreisförmigen Platte auf dem Scheitel und heißt auch die Tonsur des Petrus, die geistliche Platte. Je geringer die priesterliche Würde ist, desto kleiner ist auch die Tonsur; beim gewöhnlichen Priester hat sie nur die Größe einer Hostie; beim Papste ist sie so groß, daß das Vorderhaupt, bis auf den schmalen Kreis von Haaren, der an der Stirn stehen bleibt, zur Glatze wird. Sie wird bei allen Geistlichen vor hohen Festen erneuert, um die etwa wieder gewachsenen Haare zu vertilgen. [449] Derjenige, welcher die Tonsur empfängt, muß in einem schwarzen Rocke, mit einem brennenden Lichte in der Hand vor dem Bischof erscheinen. Nach einigen Gebeten beginnt dieser die Tonsur und schneidet einige Haare an der Stirn, am Hinterhaupte und an beiden Ohren ab, indem er das Gebet spricht: »Herr, du bist das Theil meiner Erbschaft und meines Kelches u.s.w.« Die griech. Tonsur, welche auch die Tonsur des Paulus heißt, besteht darin, daß das ganze Vorderhaupt geschoren wird; sie findet bei den Geistlichen der griech. Kirche noch statt. Die schot. oder brit. Tonsur, welche auch mit dem Namen Tonsur des Paulus belegt wird, in der griech. und schot. Kirche gebräuchlich war, bestand darin, daß man die Haare des Vorderhaupts von einem Ohr bis zum andern abschor.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 449-450.
Lizenz:
Faksimiles:
449 | 450
Kategorien: