Deutsche Geschichtsquellen

[339] Deutsche Geschichtsquellen sind im weiteren Sinne alle Denkmale und historischen Werke, welche die germanischen, auch die in das röm. Reich einbrechenden Stämme betreffen, so lange sich dieselben nicht romanisiren; im eigentlichen Sinne hingegen diejenigen Geschichtsquellen, welche sich auf das eigentliche Deutschland, das von Karl d. Gr. errichtete Reich deutscher Nation beziehen. Sie bestehen aus: 1) eigentlichen Geschichtswerken, 2) Gesetzen, 3) Urkunden. Von Karl d. Gr. an gehen die ersten in ununterbrochener Reihe fort, sind aber fast durchgängig in Chronikenform geschrieben und von sehr ungleichem Werthe; ihre Bedeutung beschränkt sich sehr oft auf die Zeit des Geschichtsschreibers, der als Augenzeuge berichtet; ihre Verfasser sind fast ausschließlich Geistliche, besonders Mönche. Die ältesten sind lateinisch geschrieben, erst im 13. Jahrh. beginnen die deutschen Reimchroniken, an denen der Reim das einzige Poetische ist; diese Form war die Folge davon, daß die deutsche Sprache von den Gebildeten nicht geschrieben wurde und die älteste nationale Ueberlieferung bei den Deutschen wie bei allen Völkern eine poetische war. Die deutschen Chroniken betreffen meistens die Specialgeschichte. Die ungeheure Masse der Urkunden aus dem Mittelalter ist noch lange nicht vollständig hervorgezogen, viel weniger gesichtet und benutzt, so viel auch von Einzelnen schon geschehen ist und namentlich in neuester Zeit von den Vorstehern der Staats- und Städtearchive und Bibliotheken geschieht. Unsere deutschen Benedictiner haben bei weitem nicht geleistet was die französ., und als das Beispiel der letzteren wirkte und die großen Klöster die historischen Sammelwerke begannen, kam die franz. Revolution und mit ihr die deutsche Säcularisation; nur in Oesterreich können deßwegen die Ordensmänner zu diesem Zwecke mitarbeiten, wie z.B. in Kremsmünster, St. Florian etc. auf ausgezeichnete Weise geschieht. Vom 16. Jahrh. an haben wir mehr als 50 Quellensammlungen, sämmtlich durch die Bemühungen von Privatmännern entstanden, so daß wir über den historischen Eifer in Deutschland uns verwundern müssen; dergleichen sind z.B. die von Schardius, Kulpis, Rheineccius, Pistorius,[339] Reuber, Freher, Schilter, Goldast, Perz, Heineccius, Leibnitz, Meibom, Menken, Leuckfeld u.s.w. Neuester Zeit hat die 1819 von dem Freiherrn v. Stein gegründete Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde unterm Schutze des deutschen Bundes zu Herausgabe des großen Quellenwerks: »Monumenta Germaniae historica inde ab anno Christi 500 usque ad annum 1500« unter der Leitung von Perz begonnen. Für das Studium der Urkunden sind die Regesten von Böhmer von der größten Bedeutung. Ueber die neuere Geschichte mangeln uns Urkundensammlungen, wie sie z.B. England besitzt, beinahe vollständig; dafür besitzen wir um so mehr Schriftsteller, welche aus den Quellen geschöpft haben, z.B. Ranke, Raumer, K. A. Menzel, Hurter, Buchholz, Mohr, Stähnlen, Perz, Hormayr, Schlosser, Droysen, Tillier, Meyer v. Knonau, Kopp, Varnhagen v. Ense, Barthold, Aschbach etc. außer vielen Kirchenhistorikern. Vgl. deutsche Literatur.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 339-340.
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