Deutsche Kunst

[340] Deutsche Kunst. Dieselbe entwickelte sich wie die aller neueren Völker in Europa, d.h. sie schloß sich zunächst an die romanische und byzantinische an, und erhielt durch den Alles durchdringenden Geist der Kirche ihre weitere Entwicklung, zerfiel bei der Glaubensspaltung vollständig, ist aber in neuester Zeit wieder neu aufgeblüht. Die Baukunst war in Deutschland wie im alten Griechenland diejenige Kunst, welche Sculptur und Malerei in das Leben rief und groß zog; die Baukunst selbst entfaltete sich wie dort im Tempel-, hier im Kirchenbau. Die ersten Kirchenbaumeister waren in den Städten die Bischöfe, auf dem Lande die Mönche; von ihnen stammt die Symbolik des sog. goth. Styls, der im 14. Jahrh. von den Gesellschaften (Hütten) der Maurer zur höchsten Vollendung gebracht wurde (s. Baukunst), so daß sie in dem eigentlichen Deutschland, in den reichen Städten, die meisten und großartigsten Werke schuf und auch auf die goth. Baukunst der andern Völker ihre Rückwirkung äußerte. Namentlich gehört die Ausbildung des massenhaften und doch leichten, wie Schnitzwerk errichteten Thurms Deutschland an. Die Plastik übte sich ebenfalls in der Kirche; der Steinmetze arbeitete die Ornamente der Säulen, Spitzbögen, Fenster etc. aus, meißelte aus Stein Bildsäulen u. Denkmäler; an ihn schlossen sich der kunstfertigere Bildschnitzer an, sehr frühe auch der Erzgießer (s. Bernward); unsere alten Dome in Hildesheim, Nürnberg, Bamberg, Köln, Wien, Freiburg u.s.w. enthalten der Beweise jener meisterhaften Kunst in Menge; die Broncegüsse des Peter Vischer in Nürnberg erscheinen fast als unvergleichlich. Die Malerei, die seit dem 8. Jahrh., d.h. seit der Christianisirung Deutschlands, der Ausschmückung der Kirchen und durch Miniaturen zur Verzierung d. Handschriften diente, ist anfänglich ganz byzantinisch (vergl. byzant. Kunst), die Zeichnung also hart, mit wenigen Zügen, die Farben grell, wenn auch nicht unangenehm, der Grund golden. Bald entwickelte sich jedoch mehr Freiheit, indem die Kunst des Porträtirens wieder aufgefunden wurde, wozu wohl die Gewohnheit, Stifter und Wohlthäter von Kirchen durch Abbildungen zu verewigen, hauptsächlich Veranlassung gab. Die erste deutsche Malerschule erstand unter Karl IV. in Böhmen; im 14. u. zu Anfang des 15. Jahrh. eine andere in den rhein. Städten, sodann die flandr. Schule durch die Brüder van Eyk, welche zugleich durch die Erfindung der Oelmalerei Epoche machen. Zu Ende des 15. und im 16. Jahrh. blühte die Malerkunst besonders im südwestl. Deutschland, wie die Namen Schön, Holbein, Dürer, Kranach etc. bezeugen. Die Glasmalerei steht daneben als eigenthümlicher Zweig und entwickelte eine früher ungeahnte Farbenpracht; wie die andere Malerei wurde sie mehr und mehr zu nichtkirchlichen Zwecken benutzt; Paläste, Rathsäle, Zunftstuben u.s.w. wurden mit Gemälden ausgeschmückt, selbst die Außenseite der Häuser zierten Wappen, bibl. Gemälde, Darstellung von Heiligen, Rittern u. dgl. In allen deutschen Gemälden ist jedoch eine gewisse Härte und Strenge zurückgeblieben; dagegen zeichnen sie sich aus durch einen charakteristischen Ausdruck frommer Innigkeit, durch sinnreiche Anordnung, natürliche, genaue [340] und einfache Ausführung. Die Reformation und der 30jähr. Krieg zerstörten eine Unzahl alter Kunstwerke und die Kunst selbst; als Deutschland wieder etwas aufathmete, wandte man sich an die auf Abwege gerathene ital. und die verdorbene franz. Kunst; Schlösser und Kirchen erzählen nur zu viel von dieser geistig verödeten Zeit. Es mangelte zwar nicht an Gegnern dieser Nachahmung und Pfuscherei; die von Fürsten und reichen Privaten angelegten Sammlungen von Werken aus der alten klassischen Zeit und der Periode der niederländ., span., ital. und franz. Kunstblüte bewiesen, daß der Kunstgeschmack nicht erloschen war und regte vielseitig an. Ein eigentlicher Umschwung trat jedoch erst ein, als Winkelmann, Lessing u.a. auf die Antike wiesen, Mengs in dieser Richtung malte, Trippel den Meißel führte, während bald darauf David in Frankreich neue Bahn brach. Die antike Form widerstrebt jedoch der deutschen Natur in jeder Hinsicht, daher wird diese Richtung in ihrer Ausschließlichkeit nie eigentlich national werden, sondern immer eine fremde, auf unsern Boden verpflanzte Kunst bleiben, mag sie sich als Baukunst, Sculptur oder Malerei etc. zeigen. Indessen machte sie jedenfalls dem Zopfstyle ein Ende, und als nach 1815 die Liebe zur deutschen Vorzeit neu erwachte, in Folge davon auch die alte d. K. wieder der Liebe der Nation sich erfreute, so daß viele Künstler ihren Ruhm in deren Nachbildung suchten, bildete sich die jetzige d. K. aus, die in jeder Beziehung der anderer Nationen wenigstens gleich steht; unsterbliches Verdienst hat sich König Ludwig I. von Bayern durch sein wahrhaft königliches Mäcenat erworben. Die Baukunst in antiker und byzantin. Weise hat durch Schinkel in Berlin u. Klenze in München Schöpfungen hervorgebracht, wie sie außerhalb Deutschland nicht gefunden werden, während Heidelof, Zwirner u.a. die goth. Baukunst gleich den Meistern der alten Hütten üben, und durch den Bau am Kölner u. Regensburger Dome, die Erbauung der Kirche in der Münchener Vorstadt Au, die Restauration anderer goth. Kirchen, practische Schulen für Baumeister u. Steinmetzen entstanden sind. Die Plastik hat dieselbe Entwicklung erlebt; der Däne Thorwaldsen, der eigentlich Deutschland angehört, Dannecker in Stuttgart, Schadow, Tieck in Berlin u.a. Bildhauer stehen fast ganz auf antikem Boden; Rauch in Berlin und Schwanthaler in München haben sich durch ihre Büsten und Monumente verewigt. Der Erzguß hat durch Stiglmeier, Laquine u.a. eine hohe Vollkommenheit erreicht. Die Malerei hat sich seit Mengs in ähnlicher Entwicklung wie die Plastik entfaltet; von der Antike wurde der Uebergang zum Kirchlichen und Modernen gefunden, nachdem Karstens, Wächter, Koch u.a. denselben vermittelt hatten, durch Veith, Overbeck, Cornelius etc., deren Compositionen zum Theil an die Kraft Michel Angelos erinnern. Gegenwärtig ist die deutsche Malerei unstreitig die erste in Europa und zwar in allen ihren Zweigen: der religiösen, der Historienmalerei, die sich nicht allein kirchliche Gegenstände, sondern auch und mit Vorliebe mittelalterliche auswählt; der Portrait-, Landschafts- und Genremalerei, sodann in der wieder aufgefundenen und namentlich in München gepflegten Glasmalerei. Man unterscheidet gewöhnlich 2 Schulen, die Düsseldorfer (Schadow, Lessing, Bendemann, Hübner, Hildebrand etc.) und die Münchener (Cornelius, Schnorr, Heß, Jäger, Schraudolph, Kaulbach etc.). In München, Düsseldorf, Berlin, Wien, Prag, Frankfurt, Stuttgart hat die deutsche Malerei bisher ihre größte und bedeutendste Thätigkeit entfaltet.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 340-341.
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