Reuchlin

[713] Reuchlin, Joh., gräcisirt Kapnio, einer der verdientesten Gelehrten aus dem Zeitalter der Reformation, geb. 1455 zu Pforzheim, studierte die Humaniora zu Freiburg i. B. und Paris, las bereits 1475 zu Basel über latein. und griech. Literatur, studierte nachträglich in Frankreich die Rechte, ließ sich 1481 als Anwalt in Tübingen nieder, kam mit Graf Eberhard I. von Württemberg als Geheimschreiber nach Rom, wurde 1484 Hofgerichtsbeisitzer, 1485 Generalanwalt der Dominikaner und blieb Geschäftsträger Eberhards I. R. wurde von Kaiser Friedrich III. geadelt und mit Ehren überhäuft und in Heidelberg, als er vor Eberhard II. fliehen mußte, 1496 mit offenen Armen aufgenommen. Nachdem er 1502 nach Stuttgart zurückgekehrt war, begleitete er den hohen Posten eines Richters der Fürstenbank des schwäb. Bundes. Bekanntlich besaß R. eine ausgezeichnete humanistische Bildung; an seine Verdienste um die griech. Sprache mahnt noch heute die sog. R. sche Aussprache (vgl. Itacismus); er war auch ein Gegner des Scholasticismus, allein gerade wegen seiner gediegenen Bildung keineswegs [713] ein blinder Verehrer der alten Schriftsteller. Namentlich deßhalb, damit »nicht etwa die heil. Schrift über dem Gesange dieser Sirenen (der altclassischen Schriftsteller) ganz verloren gehe« verlegte er sich mit allem Eifer auf das Hebräische. In dem verwickelten und interessanten Federkrieg, in welchem R. die thalmudischen Schriften gegen Pfefferkorn, Hoogstraten u. Consorten 1509 bis 1516 vertheidigte, erreichte er mehr als ihm lieb war. Er bekam nämlich nicht nur von Rom aus Recht, sondern alles entwickelte sich so, daß er wider seinen Willen zum Helden des kirchenfeindlichen Humanismus und der demselben anhängenden revolutionären Elemente gestempelt wurde. Seit 1513 als Privatmann lebend, hatte er von dem wüsten Herzog Ulrich von Württemberg vieles zu leiden, folgte aber dennoch einem Rufe nach Wittenberg nicht, wurde dagegen 1520 zu Ingolstadt ein Hausgenosse des bekannten Dr. Eck, seines ehemaligen Schülers sowie Professor der griech. u. hebräischen Sprache, floh vor der Pest nach Württemberg zurück u. st. 1522 zu Tübingen. R. wollte allerdings eine Reformation der Kirche, aber keinen Abfall von ihr, und weil sein Vetter Melanchthon in Wittenberg gegen seinen Rath sich allzu tief mit Luther einließ, vermachte R. seine kostbare Bibliothek nicht jenem, wie er früher versprochen, sondern dem Michaelisstifte zu Pforzheim. Unter seinen, keineswegs zahlreichen Schriften, heben wir mit Uebergehung der Streitschriften hervor: ein lat. Wörterbuch (Vocabularius lat. breviloquus), eine griech. Grammatik (1478); de verbo mirifico; die 2 in Heidelberg gedichteten Lustspiele Sergius sive capitis caput (Spottschrift auf den verkommenen Günstling Eberhards II., den Augustiner Holzinger) und Progymnasmata scenica (wider die schlimmen Advokaten); sein Hauptwerk, eine hebräische Grammatik sammt Wörterbuch, ist übrigens fast nur eine Copie eines Werkes des David Kimchi, die Rudimenta linguae hebraicae (1506) ergänzte er durch eine Schrift über die Accente und Rechtschreibung des Hebräischen (1518) und lehrte es durch einen Commentar über die Bußpsalmen zu exegetischen Zwecken verwenden; endlich das Leo X. gewidmete Werk de arte cabbalistica (1517). – Unter vielen Lebensbeschreibungen: Die von E. Th. Mayerhoff (Berlin 1830), Edm. Jörg im Kirchenlexikon von Wetzer u. Welte, endlich die von Francis Barchan mit dem seltsamen Titel; Life and times of J. Reuchlin or Capnion, the father of the German reformation (Lond. 1843, 1851).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 713-714.
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