Reuchlin

[681] Reuchlin (Johann), geb. 1455 zu Pforzheim, einer der berühmtesten und verdienstvollsten deutschen Gelehrten aus der Zeit des Wiederauflebens der Wissenschaften, nach damaliger Sitte auch mit seinem griech. umgeformten Namen Kapnio genannt, kam seines Gesanges wegen von der Schule zu Schlettstadt in die Kapelle des Markgrafen Karl von Baden. Nach einiger Zeit wurde er Gesellschafter und Reisebegleiter von dessen Sohne, dem nachherigen Bischof Friedrich von Utrecht, mit welchem er von 1473–75 in Paris verweilte. R. benutzte diese Zeit mit dem ihm eignen außerordentlichen Fleiße zur Erwerbung ungewöhnlicher Kenntnisse, besonders in alten Sprachen, und gab nach der Rückkehr nach Deutschland hier das erste lat. Wörterbuch und die erste griech. Sprachlehre heraus. Zum zweiten Male begab er sich 1478 nach Frankreich, wo er in Orleans als Lehrer der alten Sprachen auftrat, aber zugleich selbst die Rechte studirte. Nachdem er in Poitiers die juristische Doctorwürde erhalten hatte, ging er 1481 nach Tübingen, wo er die Rechte und die schönen Wissenschaften lehrte, 1487 aber besuchte er im Gefolge Graf Eberhard des Bärtigen von Würtemberg, welcher R. dazu als den ersten Kenner der lat. Sprache in ganz Deutschland besonders ausersehen hatte, Italien und Rom, was seine wissenschaftlichen Einsichten und seine gelehrten Verbindungen gleich vortheilhaft erweiterte. Graf Eberhard ließ auch nach der Rückkehr nach Deutschland den liebgewonnenen R. nicht mehr aus seiner Nähe, Kaiser Friedrich III. aber ehrte ihn 1492 durch Ertheilung des Reichsadels und den Titel eines Pfalzgrafen und kais. Rathes, sowie durch Beschenkung mit einer werthvollen hebr. Handschrift des A. T. Nach Eberhard's Tode (1496) lebte R. längere Zeit am Hofe des die Wissenschaften begünstigenden Kurfürsten Philipp von der Pfalz, und als derselbe mit dem Papste zerfiel und mit dem Bann belegt wurde, begab sich R. nach Rom und bewirkte die Aufhebung desselben. Nach Würtemberg zurückberufen, wurde R. zum Vorsitzenden bei dem vom schwäb. Bunde errichteten Bundesgerichte ernannt, setzte aber auch neben zahlreichen Amtsgeschäften seine wissenschaftliche Thätigkeit emsig fort und wirkte namentlich durch eine hebr. Sprachlehre und ein hebr. Wörterbuch für das Studium dieser Sprache, ward aber dadurch in viele Unannehmlichkeiten und einen langen wissenschaftlichen Streit verwickelt. Kurzsichtige Eiferer wußten nämlich zuerst dem Kaiser Maximilian I. glauben zu machen, daß mit Ausnahme des A. T. alle hebr. Schriften verwerflich und dem Christenthum nachtheilig wären, und schon gab der Kaiser Befehl zur Verbrennung derselben in allen seinen Landen, ward aber noch durch eine Vorstellung R.'s eines Bessern belehrt. Allein nun entspann sich ein mit Druckschriften geführter Streit, der gegen zehn Jahre dauerte, und in welchem auch die Universitäten zu Mainz, Erfurt, Löwen und Paris wider R. waren, der dagegen die aufgeklärtesten Gelehrten in Europa für sich hatte und endlich dem Papst die Entscheidung der Sache anheimstellte. Dort suchten R.'s Widersacher durch Bestechung zu siegen, allein Kaiser Maximilian verwendete sich jetzt entschieden für R., dem auch Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen ihren Schutz unbedingt antrugen. Da nun um dieselbe Zeit durch das Erscheinen der »Epistolae obscurorum virorum«, d.h. Briefe von unbekannten Männern oder Finsterlingen, welche in barbarischem oder Küchenlatein verfaßt sind, damals bekannten Gelehrten und Geistlichen in den Rheingegenden zugeschrieben wurden und deren Unwissenheit, sowie das ausschweifende Leben der Geistlichen jener Tage schonungslos ans Licht stellten, die Gegner R.'s öffentlich in ihrer ganzen Blöße geschildert wurden, so entschied der vom Papst bestellte Schiedsrichter, der Erzbischof von Speier, zu Gunsten R.'s. Dieser legte 1519 seine Stelle als Richter des Bundesgerichts nieder, um nicht seinen Landesherrn, Herzog Ulrich von Würtemberg, verurtheilen zu müssen, welcher die Reichsstadt Reutlingen eingenommen und verheert hatte, welche zum schwäb. Bunde gehörte. Dieser bekriegte deshalb den Herzog und R. wurde trotz seines Rücktrittes gefangen gesetzt, durch Herzog Wilhelm von Baiern, den Anführer des Bundesheers, aber befreit und nun in Ingolstadt 1520 als Professor angestellt; für den Verlust seiner Habe und Bücher suchte ihn sein reicher Freund, der nürnberger Rathsherr W. Pirkheimer, zu entschädigen. Großen Antheil hatte R. auch an der Richtung, welche sein Verwandter Ph. Melanchthon (s.d.) einschlug, welcher auf seine Empfehlung nach Wittenberg kam, wohin R. den erhaltenen Ruf ablehnte. Aus [681] Ingolstadt durch die Pest vertrieben, begab sich R. nach Tübingen und von da nach Stuttgart, wo er 1522 an der Gelbsucht starb.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 681-682.
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