Reuchlin

[70] Reuchlin, Johann, gräcisirt Capnio, geb. 28. Decbr. 1455 in Pforzheim, studirte seit 1470 in Freiburg, wurde wegen seiner schönen Stimme Hofsänger am Hofe des Markgrafen Karl von Baden-Durlach, begleitete 1463 den jungen Markgrafen Friedrich auf die Universität nach Paris, wo er selbst Griechisch lernte, u. ging dann nach Basel, wo er philosophische Vorlesungen hielt, den Theologen, ging er 1477 von Basel nach Paris zurück u. wandte sich 1478 nach Orleans, wo er die Rechte studirte, u. 1479 nach Poitiers. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1481 prakticirte er in Tübingen als Advocat, hielt Vorlesungen über die Griechische Sprache an der dortigen Universität u. wurde Geheimschreiber des Grafen Eberhard des Bärtigen, welchen er 1482 nach Rom begleitete; 1484 wurde er Assessor des Hofgerichts u. von dem Grafen zu mehren diplomatischen Sendungen gebraucht, 1492 in den Adelstand erhoben u. zugleich kaiserlicher Rath u. Pfalzgraf. Nach dem Tode seines Beschützers verließ er Württemberg u. zog 1497 nach Heidelberg, trat daselbst in die Dienste des Kurfürsten Philipp von der Pfalz als Erzieher der Söhne desselben u. erlangte 1498 als Abgesandter in Rom dessen Lossprechung vom Banne. 1499 kehrte er nach Stuttgart zurück u. wurde 1502 Rath beim Schwäbischen Bundesgericht. Seinemilde Gesinnung gegen die Juden, deren Bekehrung er nicht durch Zwangsmaßregeln, sondern durch Belehrung betrieben wissen wollte, sowie er auch die von den kirchlichen Eiferern verlangte Verbrennung aller hebräischen Bücher widerrief, brachte ihn in einen ärgerlichen Streit mit Pfefferkorn u. der theologischen Facultät in Köln, in dessen Folge seine in dieser Sache veröffentlichte Schrift: Der Augenspiegel, 1511 (n. A. von Mayerhoff, Berl. 1836), verbrannt, der Streit aber erst 1520 geendigt wurde. 1519 ging er nach Ingolstadt, wo er Griechisch u. Hebräisch lehrte, kehrte 1521 nach Stuttgart zurück u. wurde 1522 Professor der Griechischen Sprache in Tübingen, st. aber schon 30. Juni d. I. in Stuttgart. Er war das Haupt der Humanisten in Deutschland u. der Reformation zugethan; in der Griechischen Sprache begründete er eine eigene Aussprache der Diphthongen (Reuchlinische Aussprache), welche wegen des darin vorherrschenden Lautes I auch Itacismus genannt wird; die Anhänger derselben heißen daher Reuchlinianer, vgl. Griechische [70] Sprache S. 645. R. arbeitete die erste griechische Sprachlehre: Micropaedia, Orleans 1478, u. das erste lateinische Wörterbuch, Basel 1470 u.ö., aus; u. schrieb ferner: De verbo mirifico, ebd. 1494; Progymnasmata scenica, darunter bes. Sergius (Lustspiel), Pforzh. 1507; De arte praedicandi, 1504; Grammatica hebr., 1510; Dictionarium hebr., 1506, Fol.; De arte cabbalistica, Hagen 1517; De accentibus et orthographia linguae hebraicae, Haag 1518, Fol.; Interpretatio in VII psalmos poenitent., Tüb. 1512. Außer vielen andern Schriften über verschiedene Wissenschaften, Gegenstände u. mehre Reden, gehört ihm eine große Anzahl Briefe in der Sammlung der Epistolae obscurorum virorum. Lebensbeschreibungen von R. lieferten I. H. Majus, Durlach 1587, S. F. Gefres, Karlsr. 1815; Mayerhoff, Berl. 1830, u. Lamey, Pforzh. 1855.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 70-71.
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