Ahnen

[205] Ahnen (althochd. ano, mittelhochd. an), im engsten Sinne Großeltern, dann überhaupt Vorfahren. Der Beweis der A. (Ahnenprobe) war eine wichtige Institution des auf die Geburtsstände begründeten germanischen Rechts. Die aus nicht ebenbürtiger Ehe hervorgegangenen Kinder waren in verschiedenen Beziehungen ungünstig gestellt, namentlich sukzedierten sie nicht in die Lehen. Nur der Sohn war ebenbürtig, dessen Vater und Mutter aus ebenbürtiger Ehe hervorgegangen waren. Der Sachsenspiegel schreibt daher durchweg den Beweis von vier A., also der beiden Großelternpaare, vor. Auch für das Kampfgericht war die Ahnenprobe erforderlich, weil jeder nur seinen Genossen kämpflich ansprechen konnte. Unter der Herrschaft des Sachsenspiegels waren diese Verhältnisse so streng geordnet, daß die mit einem Dienstweib erzeugten Kinder eines freien Herrn den Adel, die mit einer Bauerntochter erzeugten Kinder eines Ritterbürtigen den Heerschild (s. d.) verloren. Etwa von 1400 an wurde dieses Recht laxer gehandhabt. Schon König Ruprecht erteilte Befreiungen vom Zwange der Ebenbürtigkeit. Durch die Begründung des nicht feudalen Briefadels verlor die Ahnenprobe viel von ihrer frühern Bedeutung, anderseits aber wurde von dem Lehnsadel, um die »neugebackenen« Edelleute von den Orden, Domstiftern, Ritterspielen etc. auszuschließen, eine immer strengere Ahnenprobe (zu[205] 8, 16 und 32 ebenbürtigen A.) eingeführt. In Schlesien und in der Lausitz galt bis in die neueste Zeit nur der »vierschildige«, d.h. der von vier ebenbürtigen Geschlechtern abstammende Edelmann als vollberechtigt. Wer an den vier A. Mangel litt, konnte keinen rechten Edelmann an Ehren verletzen, nicht gegen ihn Zeugnis ablegen; er war in keinem Ehrenhandel zu brauchen, kurz er war der adligen Privilegien nicht teilhaftig. Jedes Fürstentum der genannten Provinzen hatte eine Ritterbank, die von dem Fürsten, resp. dem Landvogt mit einem Marschall und zwölf Beisitzern besetzt wurde; außerdem fungierte bei dem Ritterrecht ein Herold. Vor diesem Gerichtshofe wurden die A. erprobt und Ehrenhändel im Zweikampf ausgefochten. Die Probenden führten die gemalten Schilde ihrer vier A. vor, die von Angehörigen der betreffenden vier Geschlechter beschworen werden mußten. Die schlesische Ahnenprobe war also eine rein heraldische. Im übrigen Deutschland bediente man sich bei den Ahnenproben der Ahnentafel (s. unten), in der sämtliche zu beweisende A. mit Vor- und Zunamen sowie dem richtigen Wappen ausgeführt und die Filiation urkundlich nachgewiesen sein mußte. Unter der Filiationsprobe versteht man nämlich den Nachweis, daß alle in der Ahnentafel als Ehegatten aufgeführten Personen in rechtsgültiger Ehe gelebt haben, und daß die in der Ahnentafel aufgeführten Kinder ehelich erzeugt sind. Hierzu mußte dann noch der Beweis der Ritterbürtigkeit kommen. Als Beweismittel wurden neben den Kirchenbüchern auch Grabsteine, Leichenpredigten und das eidliche Zeugnis zweier Edelleute angenommen. Da diese Ahnenproben den Weg in die reichen Pfründen der Domkapitel und der adligen Stifter bahnten, hielten vorsichtige Väter oder Freier noch im 18. Jahrh. sehr darauf, sich nach den A. des andern Teiles zu erkundigen, ehe sie sich in ein Eheverlöbnis einließen. Mit der Säkularisierung der Kirchengüter im Anfang des 19. Jahrh. verloren die Ahnenproben den letzten Rest ihrer rechtlichen Bedeutung. Nur für den Deutschen, Malteser-, den bayrischen St. Georgs- und einige andre Orden sowie für die Kammerherrenstellen ist heute noch eine Ahnenprobe erforderlich, für den preußischen Johanniterorden ein Nachweis adliger Geburt.

Unter Ahnentafel, vom Stammbaum (s. d.) wohl zu unterscheiden, versteht man eine Ausstellung der väterlichen und mütterlichen A. einer bestimmten Persönlichkeit nach folgendem Schema:

Tabelle

Dies würde eine Ahnentafel zu vier A. sein. Wird dieselbe noch weiter zurückgeführt, so entstehen Ahnentafeln von 8, 16, 32, 64 u.s.f. A., da sich durch Hinzufügung einer weitern Generation die oberste Ahnenreihe immer verdoppelt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 205-206.
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