Asen

[851] Asen (altnord. Aesir, im Sing. Ass), in der nord. Mythologie das mächtigste Göttergeschlecht, das jedoch nicht von Ewigkeit her besteht, sondern den Riesen seinen Ursprung verdankt. Die ersten A. waren die drei Söhne des Riesen Bur, Odin, Wili und We, von denen aber die beiden letztern, nachdem sie sich an der Schöpfung der Welt (s. Nordische Mythologie) beteiligt hatten, ganz zurücktreten, obwohl von ihrer eigentlichen Absetzung nirgends die Rede ist. Als Beherrscher des Alls und als Stammvater der jüngern Göttergeneration (daher sein Name Allvater [alfadir]) gilt vielmehr Odin allein. Mit Jord (der Erde) zeugte er den Donnergott Thor, mit Frigg Balder und Bragi. Odins Söhne sind ferner Tyr, Hod, Heimdall, Wali, Widar, Hermod. Auch Hönir, Ull, Forseti gehören zu den A. (s. die einzelnen Artekel). Von den weiblichen Gottheiten, den Asinnen (altnord. ásynjur), sind neben Frigg Idun und Saga die bekanntesten. Die A. sind dem Einfluß der Zeit unterworfen; die Sage erzählt von ihrer Jugend sowie von ihrem Untergang. Die Kindheit der A. verfloß in sorgloser Ruhe, in fortdauerndem Frieden und unter frohem Würfelspiel auf dem schönen Idagefilde; das Ende dieses goldenen Zeitalters wurde dadurch herbeigeführt, daß aus Jotunheim drei Riesenmädchen (die Nornen) erschienen, die Lenkerinnen des Schicksals, das selbst die Götter nicht zu wenden vermögen. Durch die Fügung der Nornen kam es zu dem ersten Weltkriege zwischen den A. und einem zweiten Göttergeschlechte, den Wanen (s. d.). Durch einen Vertrag wurde er beigelegt, nach welchem von den Wanen der mächtige Njord mit seinen Kindern Freyr und Freyja als Geiseln zu den A. kamen, während jenen dafür Hönir zu teil ward. Um sich gegen fernere Angriffe sicherzustellen, beauftragten die A. einen Riesen mit der Befestigung ihres Wohnsitzes Asgard (s. d.); da jedoch dem Baumeister der versprochene Lohn vorenthalten ward (er hatte sich den Besitz von Freyja, von Sonne und Mond ausbedungen), so brach ein neuer Krieg zwischen den A. und den Riesen aus, der bis zum Ende der Welt dauern wird. In jenen sind die dem Menschen nützlichen und wohltätigen Mächte der Natur, in diesen die zerstörenden und schädlichen Elemente personifiziert. Der erbittertste Feind der Riesen ist Thor, der deshalb fort während gen Osten zieht, wo die Riesen hausen, um sie zu bekämpfen und zu töten; er wird auch von den Riesen am meisten gefürchtet. Sa sehr die A. den Riesen überlegen sind, so haben die letztern doch durch Zauberei eine gewisse Gewalt über die A.; vorzüglich trachten sie nach Iduns verjüngenden Äpfeln. durch deren Genuß die A. sich jung erhielten. Auch Freyja, die Schönste in Asgard, suchen die Riesen zu gewinnen sowie überhaupt schöne Frauen zu entführen, um selbst die Väter schöner Kinder zu werden. Der allgemeine Weltbrand aber wird endlich nicht nur alle Schöpfungen der A., sondern diese selbst vernichten (s. Götterdämmerung). – Den A. wurden Opfer und Gebete dargebracht. Bei bevorstehendem Krieg opferte man besonders dem Odin; wenn Pest und Hungersnot bevorstanden, dem Thor als dem Reiniger der Luft und Wettergott, und wenn Hochzeiten gefeiert werden sollten, dem Freyr; Freyja wurde in Liebesangelegenheiten angerufen. Neben Odins MinneGedächtnis«) wurde Thors und Freyrs Minne getrunken, Odins Becher um Sieg und Macht, Freyrs Horn um gutes Jahr und Frieden. – Nach Einführung des Christentums deutete man die Mythen von den A euhemeristisch und betrachtete sie als ein aus Asien eingewandertes, zauberkundiges Königsgeschlecht (Snorri Sturluson, Saxo Grammatikus; vgl. Nordische Mythologie). Daß die Verehrung der A. auch den übrigen germanischen Völkern nicht fremd war, beweist für die Goten Jordanis, der im 13. Kapitel erzählt, daß das Volk seine als Halbgötter angesehenen Ahnen mit dem Namen Ansis (d.h. anseis) bezeichnet habe; für die Westgermanen das häufige Vorkommen des Wortes in Eigennamen (Ansgar, Oswald etc.). Bei den Angelsachsen hieß auch noch eine Rune Os, und eine Zauberformel erwähnt eine Krankheit »Asenschuß« (êsa gescot).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 851.
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