Derby [2]

[653] Derby (spr. dārbĭ), 1) Edward Geoffrey Smith Stanley, Graf, früher Lord Stanley, engl. Staatsmann, geb. 29. März 1799 zu Knowsley in Lancashire, gest. daselbst 23. Okt. 1869, studierte zu Oxford, trat 1820 in das Unterhaus ein und machte sich hier 1824 durch eine Rede zugunsten der Hochkirche bemerkbar. Nachdem er unter Canning und Goderich das Unterstaatssekretariat der Kolonien bekleidet hatte, übernahm er 1830 im Ministerium Greys die Stelle eines Obersekretärs für Irland. Er führte den parlamentarischen Kampf gegen die irischen Mitglieder des Unterhauses, insbes. gegen O'Connell, mit Erfolg und erwarb sich durch das Feuer seiner Rede den Beinamen des »Ruprecht der Debatte«, während man ihn in Irland »Skorpion Stanley« nannte. Für die Wahlreform von 1832 trat D. eifrig ein, und 1833 brachte er eine Zwangsbill, die der Regierung die Herstellung der Ordnung in Irland ermöglichte, durch das Unterhaus. Bald danach übernahm er das Ministerium der Kolonien, setzte 1833 die Emanzipation der westindischen Sklaven durch, nahm aber im Mn 1834, als das Ministerium durch weitere Einschränkung der protestantischen Staatskirche Irlands der dortigen Opposition ein neues Zugeständnis machen wollte, seine Entlassung. Seine Trennung von der ehemaligen Reformpartei wurde eine definitive, als Stanley nach dem Rücktritt Peels sechs Jahre lang mit der konservativen Opposition stimmte und 1841 als Kolonialminister in das neue, von Peel gebildete konservative Ministerium eintrat. Diesem gehörte er vier Jahre an und wurde während dieser Zeit im November 1844 als Lord Stanley ins Oberhaus versetzt. Als aber Peel gegen Ende 1845 sich für Aufhebung der Kornzölle erklärte, schied er aus dem Kabinett und trat an die Spitze der protektionistischen Opposition. Als 1852 das Whigkabinett fiel, übernahm Stanley, der inzwischen (30. Juni 1851) als Graf D. seinem Vater gefolgt war, als das Haupt der Konservativen die Bildung des Ministeriums, das jedoch, da es in der Frage des Kornzolles in der Minorität blieb, bald zurücktrat. D. wurde dafür Kanzler der Universität Oxford. Sein Versuch, 1855 nach Aberdeens Rücktritt ein konservatives Kabinett zu bilden, schlug fehl. Dagegen trat er 20. Febr. 1858 wieder an die Spitze der Regierung, beendigte den Krieg mit China durch einen günstigen Vertrag und bekämpfte energisch den indischen Aufstand, wurde aber 17. Juni 1859 um der Frage der Parlamentsreform willen gestürzt. Während der nächsten sieben Jahre ohne amtliche Stellung, widmete er seine Muße wissenschaftlicher Beschäftigung, und seine Übersetzung der »Ilias« in reimlosen Jamben (Lond. 1864, 10. Aufl. 1876), die sich durch Treue und poetischen Geist auszeichnet, fand großen Beifall. Im Juni 1866 ward D. nach Russells Sturz noch einmal beauftragt, ein Kabinett zu bilden. Dieses Ministerium D. wand sich durch eine bewegte Reformdebatte glücklich hindurch, ließ freilich auch eine Reformakte zustande kommen, radikaler, als sie jemals von einem whiggistischen Ministerium zur Vorlage gebracht worden war. In den letzten Jahren von der Gicht geplagt, nahm D. im Februar 1868 seine Entlassung. Im Oberhaus bekämpfte er 1868 und 1869 hartnäckig die von Gladstone vorgeschlagene Abschaffung der Staatskirche in Irland und hielt noch 17. Juni 1869 eine große Rede gegen die zweite Lesung der irischen Kirchenbill. Wenige Monate darauf starb er. Seine Biographie schrieben Kebbel (Lond. 1890) und Saintsbury (das. 1892).[653]

2) Edward Henry Smith Stanley, Graf, Sohn des vorigen, geb. 21. Juli 1826, gest. 22. April 1893, saß bis zum Tode seines Vaters als Lord Stanley im Unterhaus und ward im März 1852 Unterstaatssekretär im ersten Ministerium seines Vaters. In dessen zweitem Ministerium (1858–59) erhielt er einen Sitz im Kabinett, und unter seiner Aussicht wurde die Herrschaft über das ostindische Reich von der Handelsgesellschaft auf die Krone übertragen. Im dritten Kabinett seines Vaters (1867–68) Minister des Auswärtigen, nahm er an den Verhandlungen über Luxemburg hervorragenden Anteil und trat nach dem Tode seines Vaters ins Oberhaus. Im Kabinett Disraeli, das am 20. Febr. 1874 gebildet wurde, übernahm er wieder das Ministerium des Auswärtigen, geriet aber wegen der orientalischen Frage mit Beaconsfield in Konflikt. Im Januar 1888 veranlaßte er Beaconsfield durch die Forderung seiner Entlassung zur Zurücknahme des der Flotte erteilten Befehles, in die Dardanellen einzulaufen. Als aber nach dem Frieden von Santo Stefano Beaconsfield ein entschiedenes Einschreiten zur Wahrung der Stellung Englands im Orient für unbedingt geboten hielt und deshalb militärische Vorbereitungen traf, schied D., der diese Maßregeln nicht billigte, 30. März aus der Regierung. Während er nun im Oberhaus der Orientpolitik Beaconsfields entschiedene Opposition machte, näherte er sich mehr und mehr den Liberalen und sagte sich im April 1879 öffentlich von der konservativen Partei los. 1882–85 war er Staatssekretär der Kolonien im Ministerium Gladstone, trennte sich aber von diesem 1886, weil er seine irische Politik mißbilligte, und schloß sich der Partei der liberalen Unionisten an. Er schrieb: »Claims and resources of the West-Indian colonies« (Lond. 1849). Seine RedenSpeeches and addresses«) wurden 1895 in 2 Bänden herausgegeben.

3) Frederick Arthur Stanley, Graf, Bruder des vorigen, engl. Staatsmann, geb. 15. Jan. 1841, widmete sich der militärischen Laufbahn und avancierte zum Kapitän bei den Gardegrenadieren, trat aber 1865 zur Reserve über und wurde für Preston ins Unterhaus gewählt. Vom August bis zum Dezember 1868 war er jüngerer Lord der Admiralität, 1874–77 Finanzsekretär im Kriegsministerium, 1877 bis 1878 Sekretär im Schatzamt. 1878–80 war S. Kriegsminister und leitete die Vollendung der Rüstungen gegen Rußland und die Okkupation Cyperns. Unter Salisbury war er 1885–86 Staatssekretär für die Kolonien und seit Juli 1886 Handelsminister. Unter dem Titel Lord S. of Preston 1886 in den Peersstand erhoben, war er von 1888–93 Generalgouverneur von Kanada und erbte 1893 nach dem Tode seines Bruders Titel und Güter der Grafen von D.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 653-654.
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