Dessoir

[676] Dessoir (spr. -ssŭār), 1) Ludwig, Schauspieler, geb. 15. Dez. 1810 in Posen, gest. 30. Dez. 1874 in Berlin, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, betrat in Posen schon mit 14 Jahren die Bühne, bei der er, nebenbei als Sekretär und Rollenabschreiber, 11/2 Jahr verblieb. Dann führte er bei Wandertruppen und Sommertheatern ein Wanderleben, bis er in Mainz und Wiesbaden, 1834 in Leipzig ein festes Engagement fand, wo Laube zuerst auf ihn aufmerksam machte. Von 1836–37 spielte er in Breslau und unternahm darauf seine erste große Gastspielreise nach Prag, Brünn, Wien (Burgtheater) und Pest. Hier verweilte er 2 Jahre, bis er einem Ruf nach Karlsruhe als Nachfolger K. Devrients folgte. Er wirkte dort 10 Jahre und gastierte in dieser Zeit in Mannheim, Stuttgart, Wien, Berlin, Leipzig und Hamburg. Daselbst erhielt er den Antrag, Hoppes Stellung in Berlin einzunehmen, in der er bis zu seiner Pensionierung (Oktober 1872) verblieb. Eine schwere Krankheit hatte ihm seit 1867 nicht mehr die Darstellung großer Rollen gestattet. Von seinen alljährlichen Gastspielen war besonders das im Verein mit Emil Devrient und Lina Fuhr unternommene in London epochemachend. Lewes stellte D. als Othello über Edmund Kean, das »Athenäum« über Macready und Brooks. Bis zu seinem Engagement in Berlin spielte D. erste Liebhaberrollen, von da ab lenkte er ins Charakterfach ein; zuletzt spielte er fast ausschließlich die ersten Charakterrollen in klassischen Dramen. Selten hat ein Schauspieler in gleicher Weise wie D. durch die Tiefe und Folgerichtigkeit seiner Auffassung die Gebildeten befriedigt und die Menge durch das Überwältigende, durchaus Innerliche seiner Darstellung hingerissen. Am besten gelangen ihm die Charaktere, in denen sich eine dämonische Naturkraft mit philosophischer Reflexion paart. – Seine Gattin Therese, geborne Reimann, geb. 12. Juni 1810 in Hannover, gest. 7. April 1866 in Mannheim, war bis 1832 Mitglied der Hofbühne in Hannover und kam dann als erste Liebhaberin an das Stadttheater zu Leipzig, wo sie sich mit D. vermählte. Sie folgte letzterm 1835 nach Breslau, kehrte dann, nach der Trennung von ihm, an das Leipziger Theater zurück und folgte 1845 einem Ruf nach Mannheim.

2) Ferdinand, Sohn des vorigen, ebenfalls Schauspieler, geb. 29. Jan. 1836 in Breslau, gest. 15. April 1892 in Dresden, bildete sich in Mannheim für die Bühne aus. Nachdem er sich mehrere Jahre auf kleinern Bühnen versucht hatte, war er von 1856–57 in Stettin in ersten komischen, auch in Charakterrollen und Buffos beschäftigt. Er gastierte dann in Leipzig, wo er ein längeres Engagement annahm. 1861 ging er nach Riga und Bremen, von wo er 1863–64 als Regisseur und Darsteller für erste komische und ernste Charakterrollen in Weimar engagiert wurde, und kehrte auch nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Berlin 1867 dahin als Oberregisseur und Darsteller zurück. 1868–69 war er Mitglied des Lobetheaters zu Breslau, trat 1870 in den Verband der Hofbühne zu Dresden, 1877 in den des Thaliatheaters zu Hamburg und leitete von 1878–79 das Dresdener Residenztheater, worauf er 1880 ein Engagement in Prag und 1882 ein solches an das deutsche Volkstheater in Wien annahm. Der plötzliche Ausbruch eines Nervenleidens setzte hier seiner Tätigkeit 1889 ein Ziel. Seine hervorragendsten Rollen waren: Vansen, Mephistopheles, Jago, Shylock, Narziß, Argan, Falstaff.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 676.
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