Robinson Crusoe

[32] Robinson Crusoe (spr. krūsso) heißt der Held des weltberühmten, von Daniel Defoe (s. d.) verfaßten englischen Romans, der u. d. T.: »Life and strange surprising adventures of R. C.« 1719 in London erschien und so allgemeinen Beifall fand, daß noch in demselben Jahre vier Auflagen folgten. Robinson wird in höchst anschaulicher, natürlicher Weise als ein Junge von abenteuerlicher Anlage geschildert, der seinen Eltern durchgeht, durch Schiffbruch auf eine menschenleere Insel nahe der Orinokomündung (s. Juan Fernandez) kommt und da lange ein ganz einsames Leben führt, als Kulturmensch mit allerlei mitgebrachten Kulturmitteln allein in tropisch-üppiger Natur. Es gelingt ihm, Handwerke, Viehzucht und selbst die Religion nachzuerfinden, auch mit Hilfe des geretteten Wilden Freitag die Anfänge einer gesellschaftlichen Ordnung zu begründen, sowohl gegenüber den benachbarten Kannibalen als der meuterischen Besatzung eines englischen Schiffes, das zufällig[32] landet und ihn nach Hause bringt. Weniger interessant ist die Fortsetzung, in der Defoe verschiedene Abenteuer von Robinson und Freitag auf Reisen und ihre Rückkehr auf die Insel beschreibt, dazu den vollen Aufbau gesellschaftlicher Ordnung und christlicher Lehre in der frühern Wildnis. Vollends enthält ein 3. Teil, betitelt »Serious reflexions during the life of R. C.«, fast nur noch moralisierende Betrachtungen. Defoes Buch erlebte in ganz Europa massenhafte Übersetzungen (1719 in Frankreich, 1720 in Deutschland u. ö.) und Nachahmungen; es wurde nach HettnerRobinson und die Robinsonaden«, ein Vortrag, Berl. 1854) unter dem Namen »Perle des Ozeans« sogar ein Lieblingsbuch der Araber. Von neuern Übertragungen des Originalwerkes sind die von L. v. Alvensleben (Leipz. 1850) und Altmüller (Hildburgh. 1869, auch in »Meyers Volksbüchern«) hervorzuheben. Der Nachbildungen, die man unter dem Namen Robinsonaden zusammenfaßt, zählte J. Koch in seinem »Grundriß einer Geschichte der Sprache und Literatur der Deutschen« (Berl. 1798, Bd. 2) bis 1760 bereits 40 auf, zu denen noch eine stattliche Anzahl neuerer zu rechnen ist; bereits 1722 erschien ein »Teutscher Robinson oder Bernhard Creutz« in Schwäbisch-Hall. Es folgten ein italienischer, französischer, sächsischer, schlesischer, niedersächsischer, schwedischer, schwäbischer, kurpfälzischer, ostfriesischer Robinson u.a.; desgleichen ein geistlicher, ein medizinischer, ein jüdischer, ein moralischer Robinson etc. Die poetischste Nachahmung schrieb Joh. Gotth. Schnabel (s. d.) unter dem Namen »Insel Felsenburg«. Keine Umformung aber hat so großen Erfolg gehabt wie Campes »Robinson der Jüngere« (Hamb. 1779, 2 Bde.), eine Umgestaltung zu pädagogischen Zwecken, mit eingeschobenen Dialogen voll wissenschaftlicher und moralischer Erörterungen; sie erlebte 1894 ihre 116. Auflage (Braunschw. 1894) und war schon wenige Jahre nach dem Erscheinen, wie Campe sich rühmen konnte, in alle europäischen Sprachen (auch ins Neugriechische und Tschechische) übersetzt. Ein andres Seitenstück stellt sich in Howells »The life and adventures of Alexander Selkirk« (Lond. 1828) dar: hier sind die wirklichen Schicksale eines schottischen Matrosen berichtet, der im September 1704 auf der menschenleeren Insel Juan Fernandez ausgesetzt wurde und daselbst bis zum Februar 1709 ein einsames Leben führen mußte, bis ihn Kapitän Wood Rogers aufnahm und mit nach England zurückbrachte (vgl. Wood Rogers' Bericht über Selkirk in »Collection of voyages«, Lond. 1756). Man hat Defoe vielfach vorgeworfen, daß er sein Bestes einem Tagebuch Selkirks entnommen habe; doch hat er aus solch realen Berichten fast nur allgemeine Anregungen geschöpft; der Hauptreiz seines Werkes liegt vielmehr in der Gegenüberstellung eines gewöhnlichen zivilisierten Menschen und einer von aller Zivilisation noch unberührten Natur. Vgl. Haken, Bibliothek der Robinsone (Berl. 1805–08, 5 Bde., mit Auszügen aus den verschiedenen Robinsonaden); Hettner, Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts; Denis und Chauvin, Les vrais Robinsons (Par. 1862); Kippenberg, Robinson in Deutschland bis zur Insel Felsenburg (Hannov. 1892); H. Ullrich, Robinson und die Robinsonaden (Bibliographie, Berl. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 32-33.
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