Krampf

[763] Krampf (Spasmus), unwillkürliche, meist auch ungewöhnlich heftige u. regelwidrige Bewegung im lebenden Körper, eine aus krankhafter Ursache erfolgende Zusammenziehung der Muskelfasern. Die Unterscheidung in Nervenkrampf u. Muskelkrampf ist unzweckmäßig, indem ohne Nerveneinfluß keine Bewegung zu Stande kommen kann, u. somit ist unter K. außer der Muskelcontraction, auch die dieselbe bedingende krankhafte Reizung der Bewegungsnervenfaser (Nervenkrampf) mit inbegriffen. Der K. kann sein ein andauernder (tonischer K., Starrkrampf, Dauerkrampf, Klamm) od. ein ab u. zu nachlassender (klonischer K., Zuckung, Zuckkrampf, Convulsion), wozu auch die elektrischen Erschütterungen, Stoßkrämpfe, gehören. Die andauernden Krämpfe beruhen am einem hohen Grade der Neigung oft als Zeichen von Erkrankung des Hirns u. Rückenmarkes od. auch einseitiger Reizung od. Lähmung, welche die gegenwirkenden Muskeln verschont u. daher deren Zusammenziehung bedingt. Die klonischen Krämpfe beruhen auf Entbindung des Rückenmarkes von dem zügelnden Einflüsse des Gehirns. Ferner sind die Krämpfe verschieden, je nachdem sie vom Rückenmark (Rückenmarkskrämpfe) od. vom Hirn (Hirnkrämpfe) ausgehen od. rein örtlich (lokale Krämpfe) sind. Die Rückenmarkskrämpfe sind die häufigsten u. sind nicht mit Sinnes- od. Seelenstörungen verbunden; sie werden in idiopathische, von Erkrankung des Rückenmarkes selbst ausgehende, od. reine Reflexkrämpfe, die nur von Erregung empfindender Fasern abhängen, unterschieden. Die Hirnkrämpfe sind mit Störung od. Aufhebung der Empfindungen, der Sinnesthätigkeit u. der Vorstellungen, des Bewußtseins etc. verbunden u. werden eingetheilt in Irrkrämpfe, bei denen die Bewegungen ungereimt, aber doch mit dem Anscheine der Willkür (coordinirte Krämpfe), oft des Schabernacks u. einer gewissen mimischen Bedeutung (Spottkrämpfe) u. nicht selten (statische Krämpfe) eigenthümlich in Kreisform gebannt od. nach vorn od. hinten gerichtet sind (Schwindelkrämpfe); ferner in epileptische od. bewußtlose Krämpfe, wobei der zügelnde Einfluß des Hirns aufgehoben u. die Muskelbewegungen wirr u. ungeordnet sind. Streitig ist noch der Blähkrampf (Sp. inflativus), s.d. Ursachen der Krämpfe sind die der Nervenkrankheiten überhaupt. Ehedem unterschied man Krämpfe von Überfüllung (Spasmi a repletione) u. von Erschöpfung (Spasmi ab inanitione); doch kommen Krämpfe von mechanischer Reizung, von Blutveränderungen (z.B. durch Aufnahme von Giften) od. Gemüthsaffecten (z.B. Schreck) zu Stande. Man[763] nimmt eine besondere Anlage zu Zuckungen, Krämpfen etc. (Krampfanlage, Convulsibilitas, Diathesis spastica) an. Nach den von Krämpfen befallenen Organen spricht man von Magen-, Schlund-, Zungen-, Augenlid-, Stimmritzkrampf etc. Die Bedeutung der Krampfkrankheiten ist je nach Ursache u. Sitz, nach Häufigkeit, Heftigkeit u. Hartnäckigkeit der Anfälle u. der Mitleidenschaft wichtiger Organe sehr verschieden. Die Heilung ist in der Regel schwer; im Anfalle selbst muß der Kranke von allen beengenden Kleidungsstücken befreit u. durchaus kein Eingriff in den Verlauf des Krampfanfalles versucht werden, nur davor ist er zu hüten, daß er Schaden nehme. Die Mittel gegen die Krampfanlage sind selbst bei einer u. derselben Krampfform, je nach den Ursachen, sehr verschieden; bald sind es Wurmmittel, bald Antihisterika od. Antiskrophulosa, bald ableitende Mittel. Für einige Krampfformen gibt es eine specifische Krampfkur, bei anderen bringt man gewisse Nervenmittel (Krampfstillende Mittel, Antispasmodica) in Anwendung, theils ätherisch-ölige, wie Asant, Baldrian, Pomeranzenblätter, theils narkotische, z.B. Stechapfel, Hanf, Belladonna. Vor allem sind Diätfehler, Gemüths- u. Geschlechtsreize zu meiden. Vgl. Fleckles, Die Krämpfe in allen Formen, Wien 1834; Heidler, K. u. Krämpfe, Prag 1838; Delpech, Mémoire sur les spasmes etc, Par. 1846.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 763-764.
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