Politik

[275] Politik (v gr.), 1) als Wissenschaft ist der Inbegriff der Untersuchungen, welche sich auf den Staat, sowohl rücksichtlich der natürlichen Bedingungen u. Formen seiner Existenz, als rücksichtlich der Zwecke, welche dessen Regierung u. Verwaltung zu verfolgen hat, u. der Mittel beziehen, durch welche die Erreichung dieser Zwecke theils überhaupt, theils unter bestimmten gegebenen Verhältnissen möglich ist. Die P. ist daher der Mittelpunkt der gesammten Staatswissenschaften (s.d.) u. würde mit denselben zusammenfallen, wenn nicht die mannigfaltigen Factoren u. Thätigkeiten des Staatslebens specielle Untersuchungen über Verfassung, Gesetzgebung, Regierung, Polizei, Verwaltung, Heerwesen etc. nöthig machten, so daß man unter P. in der Regel den Inbegriff der allgemeinen Untersuchungen über den Staat u. das politische Leben versteht; daher sie entweder als die für die übrigen Staatswissenschaften grundlegende Wissenschaft, od. als diejenige angesehen wird, welche sich die Resultate derselben anzueignen hat. Solche allgemeine auf die Natur, die Zwecke u. die Gestaltung des Staatslebens gerichtete Untersuchungen sind zuerst bei den alten Griechen in wissenschaftlicher Form ausgebildet worden; Plato u. Aristoteles müssen als die Schöpfer derselben angesehen werden u. namentlich die Politik (Politeia) des Letztern ist noch jetzt des Studiums in hohem Grade werth. Insofern die P. die Zwecke zu bestimmen hat, nach welchen die Einrichtungen u. Thätigkeiten im Staate regulirt werden sollen, hängt sie von[275] der Ethik u. Rechtsphilosophie ab; da aber diese Einrichtungen u. Thätigkeiten durch die in verschiedenen Zeiten u. bei verschiedenen Völkern höchst verschiedenen Formen u. Bedingungen ihres öffentlichen Lebens vielfach modificirt u. durch den Gang der historischen Ereignisse mannigfaltig durchkreuzt werden, so ist es unmöglich, die P. als Wissenschaft ohne Berücksichtigung der Geschichte u. ohne eine Vergleichung der politischen Institutionen verschiedener Völker u. Zeiträume auf eine fruchtbare Weise auszuführen; das Studium der Geschichte u. der großen von politischem Geiste durchdrungenen Geschichtsschreiber ist für sie ein unentbehrliches Hülfsmittel, u. gerade solche Werke, welche sich, wie z.B. Macchiavelli's Betrachtungen über den Livius, Montesquieu's Geist der Gesetze, Delolmess Analyse der englischen Verfassung, Burke's Betrachtungen über die Französische Revolution, Gagerns Resultate der Sittengeschichte, Tocquevillels Arbeiten über Amerika u. den Zustand Frankreichs vor der Revolution, ganz auf dem Boden der Geschichte bewegen, sind in dieser Beziehung die lehrreichsten für sie. In so fern nun das Detail der P. sich bei Weitem weniger auf die Zwecke des Staatslebens, als auf die besonderen Thätigkeiten u. Institutionen bezieht, durch welche diese Zwecke annähernd erreicht werden können od. verfehlt werden, wird in Bezeichnungen, wie z.B. Culturpolitik, Verwaltungspolitik, das Wort P. in einem auf besondere u. bestimmte Gebiete der politischen Thätigkeit beschränkten Sinne genommen. 2) P. im praktischen Sinne od. praktische P., im Gegensatze zur theoretischen, würde nur die Ausübung u. Anwendung der von der P. als Wissenschaft gegebenen Vorschriften sein; u. diese praktische P. zerfällt in die innere u. äußere, je nachdem sie entweder die innerhalb des betreffenden Staates selbst, od. die in seinen Beziehungen zu andern Staaten liegenden Verhältnisse zum Gegenstande hat. Die Ausübung der äußeren P. fällt vorzugsweise der Diplomatie (s.d.) anheim. Da jedoch in der Wirklichkeit die Frage nach den höchsten, absolut gültigen Zwecken des Staatslebens hinter die relativen, das Festhalten der ethischen Aufgaben hinter die Bedrängnisse momentaner Bedürfnisse od. auch hinter den Egoismus der Herrschsucht, die particularen Interessen einzelner Dynastien od. Stände, die Gewalt bald der Vorurtheile, bald der Leidenschaften häufig zurückgedrängt wird, so hat das Wort P. im praktischen Sinne oft vorherrschend die Bedeutung eines lediglich klugen, die geeigneten Mittel zu irgend einem Zwecke schlau erkennenden u. verschlagen, rücksichts- u. vielleicht selbst gewissenlos anwendenden Verfahrens, wie man denn auch im gewöhnlichen Leben ein kluges Benehmen politisch, ein unkluges unpolitisch zu nennen pflegt. Daher versteht man auch unter der P. eines Staats od. eines Staatsmanns 3) die Gesammtheit der Mittel, welche, u. die Art, in welcher er sie für seine gerade jetzt verfolgten Zwecke anwendet; wie feige od. kühne, ehrliche od. unehrliche, consequente od. inconsequente, kleinliche od. großartige P. etc.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 275-276.
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