Princīp

[596] Princīp (v. lat.), 1) Anfang; 2) im wissenschaftlichen Sprachgebrauche das, was als ein Erstes etwas Anderes bedingt u. begründet. Dieses Verhältniß der Abhängigkeit des Einen von dem Andern ist entweder, für das Denken u. Erkennen, das der Folgen zu ihren Gründen, od., für das Seyn u. Geschehen, das der Wirkungen zu ihren Ursachen; darauf beruht der Unterschied zwischen Principien der Erkenntniß (Erkenntniß-, Idealprincipien, Principia cognoscendi) u. Principien des Seyns u. Geschehens (Realprincipien, P. essendi od. P. fiendi). In beiderlei Beziehung ist niemals Etwas P. für sich allein, sondern erst in Beziehung auf das, was dadurch bedingt u. begründet wird; beziehungsweise wird daher für untergeordnete Gebiete des Erkennens u. Geschehens oft Etwas P. genannt, was rückwärts betrachtet selbst wieder ein abgeleitetes u. bedingtes ist; die letzten u. höchsten Principien zu bestimmen, ist Aufgabe der Philosophie (s.d.) u. die Art, wie diese namentlich die letzten Realprincipien der gesammten Erscheinungswelt zu bestimmen gesucht hat, das Unterscheidungsmerkmal der metaphysischen Systeme (s. Metaphysik). Zu den Erkenntnißprincipien gehören alle unmittelbar gewissen Sätze, welche von anderen nicht weiter abgeleitet werden können, wie z.B. die Axiome der Arithmetik u. Geometrie, der Satz der Identität; die Realprincipien entziehen sich durchaus einer solchen unmittelbaren Auffassung; sie bezeichnet häufig nur die Grenze, bis zu welchen die Erkenntniß der Dinge vorgeschritten ist, wie z.B. die der Materie beigelegte Anziehungskraft so lange als ein Realprincip angesehen werden muß, als es noch nicht gelungen ist, sie selbst als eine Folge aus anderen Ursachen abzuleiten. Daher bezeichnet man mit dem Worte P. auch bestimmte Naturgesetze, welche man zu praktischen Zwecken benutzt, od. Grundsätze, nach welchen man gewisse Einrichtungen regelt, so z.B. wenn man von dem P., nach welchem eine Maschine gebaut ist, od. von dem monarchischen, constitutionellen, absolutischen P. spricht; man bezeichnet daher als P. überhaupt die Grundsätze u. Grundgedanken, welche einen bestimmten Complex von Lehrsätzen beherrschen u. durchdringen u. spricht von den Principien einzelner Ansichten, Systeme etc. Eine Unterabtheilung der Erkenntnißprincipien bezeichnet die Unterscheidung der Material- u. Formalprincipien; unter der ersten versteht man die, von denen der Inhalt, der Stoff, unter den zweiten die, von welchen die Form einer Wissenschaft abhängt, wie z.B. die protestantische Dogmatik die in der Heiligen Schrift niedergelegte Offenbarung für ihr Material-, die Gesetze des Denkens, nach denen dieser Stoff geordnet u. hergestellt werden soll, für ihr Formalprincip erklärt. In praktischer Beziehung ist P. jeder allgemein gedachte Grundsatz, welcher das Motiv u. die Regel für ein bestimmtes Handeln enthält. Dem theoretischen Gegensatz zwischen Wahrheit u. Irrthum tritt hier der Unterschied des Vorzüglicher u. Verwerflichen, also ein Unterschied des Werthes ein Maaßstab der Beurtheilung zur Seite. Das, was in der Schätzung des Menschen einen solchen Werth hat, daß dadurch sein Handeln in zusammenhängender Weise bestimmt wird, wird dadurch als P. seines Handelns für ihn Maxime. Insofern es aber nicht blos darauf ankommt, nach welchen Principien u. Maximen die Menschen wirk, ich handeln (wie etwa nach denen der Gewinnsucht, der Herrschsucht, der Rachsucht etc.), sondern nach welchen sie handeln sollen, gewinnt die Frage nach den praktischen Principien eine sittliche Bedeutung, u. die Wissenschaft, welche die absoluten Maßstäbe des Werthes für das Wollen u. Handeln, also die Principien des Unterschiedes zwischen Gut u. Bös festzustellen hat, ist die Moral od. Ethik. Da jeder Satz, welcher für irgend ein Gebiet als P. aufgestellt wird, alle von ihm abhängigen Sätze bedingt, so ist eine zusammenstimmende praktische Thätigkeit, eben so wie eine wissenschaftliche Verhandlung nur auf der Grundlage gleicher Principien möglich; daher der Satz: Contra principia negantem [596] disputari non potest (d.h. mit dem, welcher die Principien läugnet, ist keine wissenschaftliche Verständigung möglich). Eine Frage od. ein Streit, dessen Gegenstand die Principien selbst sind, heißt eine Principienfrage od. ein Principienstreit.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 596-597.
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