Plautus

[907] Plautus.

Ein bekannter römischer Comödiendichter, und Schauspiehler. Man hält insgemein dafür, daß er einige Zeit nach dem Anfange des zweyten punischen Krieges, das ist ohngefehr 200 Jahr vor der Christlichen Zeitrechnung sich hervorgethan habe; sein Tod aber wird in die Zeit gesezt, da der ältere Cato Censor war. Er hatte, wie wir hernach zeigen werden, die comische Muse ganz zu seinem Gebot, und jedes der zwanzig von ihm übrig gebliebenen Stüke, kann überhaupt, (einzele Fleken, wovon wir hernach reden wollen, ausgenommen) als ein Muster einer guten Comödie angesehen werden: alle zusammen aber als authentische Documente des römischen Geschmaks der damaligen Zeit. Daß sie zugleich ein wahrer Schaz von ächter lateinischer Wolredenheit seyen, kann hier auch im Vorbeygang angemerkt werden.

Wer alles Historische von diesem Dichter, und seinen Werken zusammengetragen lesen möchte, kann die in Berlin herausgekommenen Beyträge zur Historie des Theaters im I Theil nachsehen. Plautus war aus Sarsina in Umbrien gebürtig. Er soll von sehr geringer Herkunft gewesen seyn, und ein gar wiedriges Schiksal erfahren haben. Daß er aber, wie ein ungenannter alter Schriftsteller berichtet, ein Soldat, ein Kaufmann, ein Trödler, ein Müller oder Beker gewesen, eh' er sich in Rom, als Dichter und Schauspiehler gezeiget, ist unzuverläßig; hingegen sehr wahrscheinlich, daß er sich in seiner Jugend auf Litteratur gelegt habe. Wenn er also auch eine Zeitlang, wie vor ihm der Philosoph Cleanthes, bey einem Müller, oder Beker gedient [907] hat; so mag es etwa zur Zeit einer großen Theurung gewesen seyn.

Da von den Comödien, die vor Plautus Zeiten auf die römische Bühne gekommen sind, nichts mehr vorhanden ist, so läßt sich nicht sagen, in welchem Zustand er dieses Schauspiehl gefunden, und was man ihm darin zu verdanken habe. Allem Ansehen nach hat er, wie in neuern Zeiten Moliere, die römische Comödie auf einmal zu einem Grad der Vollkommenheit erhoben, wovon man vor seiner Zeit sehr entfernt war. Einige Alten sagen, er habe hundert und dreyßig Comödien geschrieben. Es mag sich aber damit verhalten, wie mit dem alten deutschen Possenreißer Eulenspiegel, dem man alle gemein bekannten poßirlichen Einfälle, deren Urheber nicht bekannt waren, zuschrieb. Denn schon zu des Varro Zeiten waren, wie wir aus dem A. Gellius sehen, in der plautinischen Sammlung, so viel schlechte Stüke, daß dieser scharfsinnige Kunstrichter davon nur ein und zwanzig, die er für ächt hielt, auszeichnete. Diese wurden die Varronischen genennt, und sind vermuthlich, wenigstens größtentheils, die welche wir noch izt haben. Dieser Dichter hat sich sehr lang auf der Schaubühne erhalten; denn die Frau Dacier ziehet aus einer Stelle des Arnobius den Schluß, daß seine Stüke noch unter dem Kayser Diocletian, und also beynahe 500 Jahre nach des Dichters Tode, gespiehlt worden.

Seine meisten Stüke sind freye Uebersezungen, oder Nachahmungen griechischer Stüke, deren Verfasser er insgemein in Prologen nennt. Wenn man dieses bey Gelegenheit des ungünstigen Urtheils, das Quintilian über den Plautus äußert, in Erwägung nihmt; so muß man auf den Gedanken kommen, daß die Originale, nach denen dieser gearbeitet hat, höchst fürtreflich gewesen sind, da in den Nachahmungen noch so viel Schönes angetroffen wird.

Man kann überhaupt sagen, daß alles, was die comische Bühne lustig, lebhaft, angenehm und auch lehrreich macht, beym Plautus reichlich angetroffen werde, ob er gleich auch viel wichtige Fehler hat. Personen von höchst poßirlichen Charakteren, über die auch der ernsthafteste Mensch lachen muß; andre, von niederträchtiger Gemüthsart, die zwar unsern Unwillen erweken, aber denn auch wieder dadurch, daß sie nach Verdienst gehöhnt und verspottet und überhaupt in ihrer schändlichen Blöße dargestellt wenden, Vergnügen machen; Jünglinge, die sich bald aus Leichtsinn und Unbesonnenheit, bald aus Lüderlichkeit in schweere Verlegenheiten stürzen, darin sie entweder zu ihrer Besserung zu Schanden werden, oder daraus sie durch die Verschlagenheit und die Ränke eines abgefeimten Buben, auch wol bisweilen durch die Vernunft eines ehrlichen und verständigen Knechts, gerissen werden. Aber zu einem recht angenehmen Contrast findet man bisweilen neben einem Narren einen sehr verständigen, geraden und rechtschaffenen Mann; neben einer leichtfertigen Dirne, ein Mädchen von sehr schäzbarem, interessanten und liebenswürdigen Charakter. An sehr comischen Vorfällen, seltsamen Verwiklungen, lächerlichen Irrungen, an sehr listigen und zum Theile höchst poßirlichen Intriguen und unerwarteten Aufschließungen, ist er durchaus reich.

Seinen immer lustigen Stoff behandelt Plautus in mancherley Absicht, wie ein großer Meister, der zwar nicht fein, oder nach Kunstregeln, aber desto glüklicher in seiner angebohrnen Laune arbeitet, und, wenn er auch oft sich als einen Poßenreißer zeiget, bisweilen auch als ein nachdenkender, sehr verständiger, ernsthafter und patriotischer Bürger erscheinet, der seine Zuhörer zwar meistentheils blos belustiget, bey Gelegenheit aber ihnen bald ernsthaft, bald beißend große Wahrheiten sagt. Sein Ausdruk ist durchgehends den Sachen höchst angemessen: im Lustigen ungemein launisch, und mit so viel Originaleinfällen durchflochten, daß man fast unaufhörlich dadurch überrascht wird. Was kann lustiger seyn, als folgendes, aus dem Prolog des Poenulus.


Silete et tacete et animum advortite.

Audire jubet vos Imperator histricus:

Bonoque ut animo sedeant in subselliis

Et qui esurientes et qui saturi venerint.


Im ernsthaften ist er gesezt, kurz und nachdrüklich; obgleich ganz in dem natürlichsten Ton des gemeinen Umganges. Beyläufig bringet er sehr gute, bisweilen ganz fürtrefliche und einen scharfen Beobachter der Menschen und der Sitten anzeigende Denksprüche an. Diese nehmen ofte die Form sehr ernsthafter Lehren, nicht blos für das Privatleben, sondern auch für die allgemeinen öffentlichen Sitten an. Was kann einer tugendhaften Frau anständiger seyn, als folgende Gesinnungen.


Non ego illam mihi dotem duco esse quæ dos dicitur:

Sed pudicitiam et pudorem et sedatum cupidinem,

[908] Deum metum, parentum Amorem et cognatum concordiam:

Tibi morigera atque ut munifica sim bonis, prosim probis.1


Sehr fürtreflich und höchst rührend ist die Art, wie, in dem Perser ein junges Frauenzimmer ihren Vater, einen niederträchtigen Schmaruzer, von einer schimpflichen Handlung abzubringen sucht.


Quamquam res nostræ sunt, pater, pauperculæ,

Modice et modeste melius est vitam vivere:

Nam si ad paupertatem admigrant infamiæ,

Gravior paupertas fit, fides sublestior.


Als sie ihm die Schande vorstellte in die er sich stürzen würde, er aber diese Vorstellung verachtete: sagt sie ihm:


Pater, hominum immortalis est infamia,

Etiam tum vivit cum esse credas mortuam.


Und wie kann man nachdrüklicher und mit mehr Wahrheit von öffentlicher Rechtschaffenheit sprechen, als unser Verfasser in dieser Stelle thut. Einer bekommt auf die Frage:


–– ut munitum muro tibi visum est oppidum?


diese Antwort:


Si incolæ bene sunt morati, pulchre munitum arbitror.

Perfidia et peculatus ex urbe et avaritia si exulant,

Quarta invidia, quinta ambitio, sexta obtrectatio

Septima perjurium –– indiligentia –– injuria –– –– scelus: ––

Hæc nisi aberunt, centuplex murus rebus servandis parum est.2


Wir führen dieses blos zur Prob an; denn es wäre sehr leicht eine große Sammlung von fürtreflichen Denksprüchen und Lehren aus dem Plautus zusammen zu tragen.

Von der Dreistigkeit mit der er die verdorbenen Sitten seiner Zeit angegriffen hat, kann folgende Stelle zeugen. Im Curculio erscheinet zwischen dem dritten und vierten Aufzug der Choragus, und sagt den Zuhörern, er wolle mittlerweile, bis die Personen wieder auftreten, den Zuschauern sagen, wo jede Art der Bürger, die sie etwa zu sprechen hätten, am gewissesten anzutreffen sey. Denn giebt er folgende Nachricht.


Qui perjurum convenire volt hominem, mitto in Comitium.

Qui mendacem et gloriosum, apud Cloacinæ sacrum.

Ditis damnosos maritos sub Basilica quærito.

Ibidem erunt scorta exsoleta, quique stipulari solent.

Symbolarum Collatores apud forum piscarium.

In soro infimo boni homines, atque dites ambulant.

In medio propter canalem, ibi ostentatores meri.

Confidentes, garrulique et malevoli supra lacum

Qui alteri de nihilo audacter dicunt contumeliam,

Et qui ipsi sat habent, quod in se possit vere dicier.

Sub Veteribus, ibi sunt qui dant, quique accipiun foenore.

Pone ædem Castoris, ibi sunt, subito quibus credas male.

In Tusco vico, ibi sunt homines, qui ipsi sese venditant. etc.


Man hat Ursache sich zu wunderen, daß die neueren comischen Dichter den großen Reichthum jeder Art der comischen Schönheiten, der im Plautus liegt, sich so wenig zu Nuze gemacht haben. Ich kenne außer dem Aristophanes keinen Dichter, der die vim comicam nach allen ihren Wendungen so sehr in seiner Gewalt gehabt, als dieser.

Dabey dürfen wir aber seine Fehler nicht verschweigen. Nicht ohne Unwillen siehet man, daß er sich bisweilen bis zum Possenreisser erniedriget, der sich die unanständigsten Dinge erlaubt, und die Schaubühne, als einen Ort ansieht,


Ubi lepos, joci, risus, vinum ebrietas decent.3


So gar mitten im Ernst, und wo es völlig wiedersprechend ist, treibt er bisweilen den Narren. Ich will nur ein einziges Beyspiehl davon anführen. Ein junger Mensch sucht ein Mädchen, das er liebet von dem Sclavenhändler, dem sie gehört, loszukaufen. Dieser war mit einigen Sclavinnen, darunter jenes Mädchen war, zu Schiffe gegangen, hatte Schifbruch erlitten, und das Mädchen hatte sich gerettet, und sich in einen an der Küste liegenden Tempel der Venus, als in eine sichere Freystadt begeben. Hier will der Sclavenhändler sie mit Gewalt von der Statue der Göttin wegreißen. Der Knecht des verliebten Jünglings kömmt dazu, erstaunet über die Gottlosigkeit des Sclavenhändlers u.s.w. Er sucht eine seinem Herren so wichtige Person zu retten, und wendet sich deshalb an einen nahe am Tempel wohnenden Alten, den er um Hülf und Beystand anruft. Die Situation ist hier völlig ernsthaft; besonders aber ist der Alte, dessen Hülfe hier dem Knecht nöthig war, eine wichtige Person, die er nothwendig in sein Intresse ziehen muß. Und nun – man begreift nicht, wie so etwas unsinniges dem Plautus hat einfallen können [909] – mischt dieser Bube in die Rede, wodurch er den Alten zu seinem Beystand ruft, die ärgsten Possen und niedrigsten Spöttereyen gegen den Alten selbst, den er gewinnen will.


Te oro et quæso, si speras tibi

Hoc anno multum suturum sirpe et Laserpitium

Atque ab lippitudine usque siccitas ut sit tibi.


In diesem abgeschmakten Ton fährt er, als ein leibhafter deutscher Hanswurst, eine ganze Weile fort, eh' er seinen Antrag würklich eröffnet.

Ueberhaupt sind des Plautus Comödien bey allen Schönheiten voll Fleken, womit sein comischer Muthwillen sie besprüzt, und die er abzuwischen sich nicht die geringste Mühe gegeben hat; vermuthlich, weil er sie zur Belustigung des Pöbels brauchen konnte. Da seine Stüke insgemein griechischen Inhalts sind, er aber sich die Mühe nicht genommen, die Einheit des Charakters zu beobachten, geschieht es nicht selten, daß man den Areopagus und das Capitolium zugleich im Gesichte hat, zugleich in Rom und in Athen ist. Um die Beobachtung des Ueblichen bekümmert er sich eben so wenig, als jener Mahler, der in dem Gemählde von dem Einzug Christi nach Jerusalem, die Eselin mit einer Deke behängt hat, worauf die Wapen der XIII Schweizer Cantone gestikt waren. In seinem Amphitruo wird einer Geldsorte gedacht, die unter Philipp, Alexanders Vater aufgekommen ist. Bisweilen läßt er den Schauspiehler mitten im Spiehl, plözlich die Maske wegnehmen, und ihn aus einem Jupiter, oder Merkur den er vorstellt, zum Comödianten werden. Ungereimtheiten von dieser und mehr Arten kommen häufig beym Plautus vor. Dessen ungeachtet wär jede einzele seiner Comödien schon hinreichend uns einen hohen Begriff von seinen Talenten für die comische Bühne zu geben.

1Ampuitr.
2Persæ.
3Pseudol. Prolog.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 907-910.
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