Recht

[996] Rêcht, ein Nebenwort, welches im Hochdeutschen nicht comparirt wird, und mit dem folgenden Beyworte eigentlich ein und eben dasselbe Wort ausmacht, hier aber, weil beyde mehrere eigene Bedeutungen haben, um der bessern Übersicht willen von demselben getrennet wird. Es bedeutet,

1. * Eigentlich gerade, von der Richtung, so fern sie die kürzeste Linie zwischen zwey Puncten ist. Es ist im Hochdeutschen in dieser Bedeutung veraltet, aber in einigen Oberdeutschen Gegenden[996] sagt man noch, recht stehen, gerade, aufrecht, S. dasselbe, und im Forstwesen ist ein gerechter Baum, ein gerade gewachsener. S. Gerecht. Im Dithmarsischen ist ein Recht, und im Plural Rechter, eine Latte, welches Wort allem Ansehen nach auch noch die erste Bedeutung zum Grunde hat. Das alte Gothische raihts, Engl. right, und Schwed. rak, bedeuten gleichfalls gerade, und mit ausgelassenem Hauchlaute gehören auch das Schwed. rätt, das Isländ. rettur, gerade, eben, und unser rad in gerade selbst hierher, S. das letztere.

2. Figürlich, wo es von einem sehr weiten Umfange der Bedeutung ist, dem Subjecte, Objecte und Prädicate in verschiedenen Betrachtungen gemäß.

1) Der Richtung nach; vielleicht die erste und nächste Bedeutung, welche alle folgende figürlichen mit der vorigen eigentlichen verbindet. Man gebraucht es hier nur noch in den Zusammensetzungen senkrecht, scheitelrecht, wagerecht, wasserrecht, schnurrecht u.s.f. wo es zugleich als ein Beywort gebraucht wird.

2) Dem körperlichen Umfange gemäß, passend; wofür auch wohl gerecht gebraucht wird. Das Kleid ist mir recht, passet. Die Kugel ist recht, wenn sie in den Lauf passet. In alle Sättel recht, oder gerecht seyn, sich in alles zu schicken wissen.

3) Der Empfindung, dem Verlangen, der Absicht gemäß. So wohl den sinnlichen Empfindungen nach, wo man in der vertraulichen Sprechart sagt, mir ist nicht recht, so wohl wenn man unpaß ist, als auch, wenn man dunkele, unangenehme Empfindungen hat, deren Ursprung man sich nicht deutlich bewußt ist. Ich höre nunmehr wohl, daß dir nicht recht ist.


Du sahst so sauer aus, als wäre dir nicht recht,

Rost.


Einen Kranken, einen Ohnmächtigen wieder zu recht bringen, im gemeinen Leben ihm zu seiner Gesundheit verhelfen, ihn wieder zu sich selbst bringen. Im Schwedischen ist daher Räka die Gesundheit. Als auch in weiter Bedeutung, dem Wunsche, dem Verlangen, der Absicht gemäß; am häufigsten in der vertraulichen Sprechart. Mir ist alles recht, ich lasse mir alles gefallen. Und das war ihm schon recht, war seinen Wünschen gemäß. Sie kommen mir eben recht, eben zu gelegener Zeit.


Du kommst mir eben recht, ich wollte so schon speisen,

Haged.


Komm ich vielleicht nicht recht, und bin ich dir zuwider?

Rost,


ist dir vielleicht meine Gegenwart beschwerlich? Es war mir nicht recht, daß er wegging, es war mir unangenehm. Man kann ihm nichts recht machen, nichts, damit er zufrieden wäre, nichts zu Danke. Der muß früh aufstehen, der es allen recht machen will. Das wäre mir recht! ironisch. Ingleichen als ein Zwischenwort, seinen Beyfall, seine Zufriedenheit an den Tag zu legen. Recht so! So recht, mein Sohn!

4) Mit der Sache selbst, mit dem Prädicate übereinstimmig. a) Mit der Sache selbst übereinstimmig; im Gegensatze des falsch und unrecht. Wo mir recht ist, wenn ich mich nicht irre. Berichten sie mich recht, sagen sie mir die Wahrheit. Recht urtheilen. Recht sehen, hören, lesen u.s.f. Ein Wort nicht recht aussprechen. Sie haben recht geurtheilet. Sagen sie mirs recht, im gemeinen Leben, für: sagen sie mir die Wahrheit. Recht rathen, recht zählen, recht rechnen u.s.f. Das haben sie nicht recht verstanden. Sagen wir nicht recht, daß du ein Samariter bist? Joh. 8, 48. S. auch Richtig. b) In engerer Bedeutung, genau, pünctlich, mit dem Prädicate völlig überein stimmend, für genau, völlig u.s.f. Recht in die Mitte treffen. Dieser Anschlag kommt recht aus dem Innersten ihres Herzens, Gell. Ich warte recht mit Ungeduld. Weil ich kein Vergnügen recht schmecke, welches ich nicht mit dir theile. Recht, wie sichs[997] gehöret. Ich habe es ihm verziehen, aber nicht recht, nicht völlig. Ich weiß es selbst nicht recht. Ich weiß mich nicht recht in sie zu finden. Sie sind nicht recht einig. Du kommst ja recht in die Hitze. Das Befehlen kleidet dich noch nicht recht.


Und von den Schäferinnen gefiel mir keine recht,

Rost.


Nicht recht bey Sinnen seyn, nicht völlig. Recht, als ob es der Himmel so hätte haben wollen. Da es denn c) nach einer noch weitern Figur auch zu einer intensiven Partikel wird, welche auch andern Bey- und Nebenwörtern vorgesetzet werden kann; für sehr. Ich habe recht viele Ursachen dazu. Er hatte mir recht viel zu sagen. Ich will mich mit ihnen heute recht vergnügen, Gell. Er ist ein recht feiner Mensch. Wir haben recht gelacht. Das kommt uns recht gut zu Statten. Machen sie ihn nur recht schamroth, Gell. Ich bin ihm recht herzlich gut, ebend. Recht sehr schön. Ich habe sie ja recht lange nicht gesehn. Das ist mir ja recht lieb. Das ist ja recht gut. Recht gerne. Es ist recht kalt, recht sehr kalt. Ihr seyd gelehrt, recht sehr gelehrt in allen Sachen, Gell. Die Schweden gebrauchen ihr rätt auf eben diese Art; die Engländer gebrauchen dafür very.

Wenn dieses Nebenwort als eine Intension einem Beyworte vorgesetzet wird, so pflegen verschiedene Hochdeutsche Schriftsteller dasselbe gern als ein Beywort zu behandeln, welches aber ein Fehler ist. Er wird ein rechter großer Herr werden. Du bist eines rechten frommen Mannes Sohn, Tob. 7, 7. Er hatte rechte seine Mienen, Gell. Ich bin ein rechter glücklicher Vater, ebend.

5) Dem Endzwecke, der Bestimmung gemäß, auch den Graden nach; für gehörig. Wenn ich es recht bedenke. Das haben sie nicht recht überlegt. Das ist recht. Komm ich hier nicht recht? im gemeinen Leben, komm ich hier an den Ort, an welchen ich wollte? Ew. Schreiben ist uns zu recht worden, im Oberd. ist uns richtig eingehändiget worden. S. auch Zurecht.

6) Dem Gesetze, dem Rechte und der Billigkeit gemäß; im Gegensatze des unrecht. Thue recht, scheue niemand. Du hast recht gethan. Von ihm ists doch auch nicht recht, Weiße. Etwas recht sprechen, für recht erklären, welches von Recht sprechen noch unterschieden ist. S. das Hauptwort Recht. In einem andern Verstande kommt es Es. 50, 8 vor: er ist nahe, der mich recht spricht, wo es das veraltete Beywort recht für gerecht ist, der mich für gerecht erkläret. Ergehen lassen, was recht ist. Fordern, geben, was recht ist. Wie es recht und billig ist. Es ist nicht recht, daß u.s.f. Etwas für recht erkennen. Ists recht, daß man dem Kaiser Zinse gebe? Matth. 22, 17. Ingleichen mit dem Zeitworte geschehen. Es geschiehet ihm recht, wie er es durch sein Vergehen verdienet hat. Es geschiehet dir gar recht. Dir, Flattergeist, ist recht geschehn, Gell.

Anm. In den R.A. Recht haben, einem Recht geben, Recht behalten, einem Recht lassen u.s.f. ist es das Hauptwort, siehe dasselbe. Der Comparativ und Superlativ sind im Hochdeutschen ungewöhnlich, obgleich die meisten Bedeutungen dieselben wohl verstatteten, auch gerecht die Comparation leidet. Einige Oberdeutsche Mundarten compariren es indessen ohne Bedenken. Rechter zu sagen, Lohenstein, für besser, richtiger. In Ansehung der Etymologie, S. das Hauptwort Recht in der Anm.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 996-998.
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