Auslieferung

[153] Auslieferung der Verbrecher und überhaupt Aller, gegen welche eine Regierung gerechte Ansprüche zu machen hat oder zu haben behauptet, geschieht von derjenigen Regierung, in deren Gebiete der Verfolgte seine Zuflucht genommen hat, an diejenige Regierung, welche der Person des Flüchtigen habhaft zu werden wünscht. Der bloße Wunsch oder das Verlangen der einen Regierung, daß ihr ein Flüchtiger ausgeliefert werde, kann aber die andere Regierung noch nicht verpflichten, ja nicht einmal berechtigen, ihn wirklich auszuliefern. Der Verfolgte hat der Regierung, in deren Gebiet er sich geflüchtet, sein Vertrauen bewiesen und ihren Schutz in Anspruch genommen, und es würde einem Staate noch weit schlechter anstehen, als einem Einzelnen, jenes Vertrauen zu täuschen und der Menschlichkeit das Gehör zu verweigern. Aber auch abgesehen hiervon, bliebe es immer eine große Ungerechtigkeit, wenn ein Staat den Fremden in seinem Gebiete verhaften und ausliefern wollte. Das Schlimmste, was er sich rechtlicher Weise gegen denselben erlauben dürfte, wäre, daß er ihm den Aufenthalt in seinem Gebiete verweigerte und ihn über die Grenzen desselben verwiese. Es sind also nur zwei Auswege möglich, welche der Staat in Beziehung auf einen Fremden, dessen Auslieferung von ihm verlangt wird, einschlagen kann, denn entweder hat er gegen diesen Fremden die Pflicht übernommen, ihm Schutz und Gerechtigkeit zu gewähren oder es ist dieses nicht geschehen. Im erstern Falle kann er ihn nicht ohne Weiteres, namentlich ohne vorhergegangenes rechtliches Gehör, ausliefern, im andern steht ihm aber, weil er keine Pflicht übernommen, auch kein Recht der Auslieferung zu. Die Verbindlichkeit zu Auslieferungen kann demnach nur durch Verträge zwischen den einzelnen Staaten begründet werden. Aber auch durch diese Verträge können die allgemeinen Regeln nicht aufgehoben werden, welche Recht und Gerechtigkeit einem jeden Staate vorschreiben. Wenn ein Staat von dem andern Auslieferung eines Angeschuldigten verlangt, so geschieht dieses, um den Gefoderten zur Untersuchung und Strafe zu ziehen. Da demnach der ausliefernde Staat zur Bestrafung desselben mitwirkt, so ist vor allen Dingen nöthig, daß die Handlung, wegen welcher die Auslieferung gefodert wird, auch in den Gesetzen des ausliefernden Staates als eine strafwürdige bezeichnet sei. Denn wäre dieses nicht der Fall, so würde derselbe zu einer Ungerechtigkeit, wenigstens seinen Begriffen nach, mitwirken, wozu er sich durch keinen Vertrag gültig verpflichten kann. Ein Auslieferungsvertrag zwischen mehren Staaten kann sich also nur auf solche Handlungen beziehen, welche nach den Gesetzen des Staats, welcher ausliefern soll, strafwürdig sind. Der Auszuliefernde muß endlich des angeschuldigten Verbrechens auch in dem Grade verdächtig sein, daß nach den Gesetzen desjenigen Landes, welches ihn ausliefern soll, ein gerichtliches Verfahren gegen ihn eingeleitet werden könnte. Mord, Diebstahl, Betrug und dergleichen werden überall in der gebildeten Welt als Verbrechen angesehen, und auf diese beziehen sich vorzüglich die Auslieferungsverträge, welche die Staaten miteinander abgeschlossen haben. Anders verhält es sich dagegen mit Denjenigen, die sogenannter politischer Vergehen und Verbrechen halber flüchtig sind, und man ist im Allgemeinen der Meinung, daß von einem unabhängigen Staate weder ihre Auslieferung noch, so lange sie sich ruhig verhalten, ihre Wegweisung verlangt werden könne. Doch auch wegen dieser Art Vergehungen haben in neuester Zeit Rußland, Ostreich und Preußen einen Auslieferungsvertrag miteinander abgeschlossen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 153.
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