Cardinal

[383] Cardinal, gegenwärtig der vornehmste Titel und die höchste Würde der katholischen Kirche nach dem Papste, dessen geistlichen und weltlichen Rath die Cardinäle ausmachen und den sie aus ihrer Mitte wählen, war in früher Zeit ein Titel, der jedem fest angestellten Priester ertheilt wurde. Später ward er in vorzüglicherer Bedeutung sieben Bischöfen und 28 Diakonen und Priestern an den Kirchen Roms und seiner nächsten Umgebung beigelegt, die nun Cardinalbischöfe u.s.w. hießen und von denen erstere im 11. Jahrh. durch Papst Nikolaus II. das Recht erhielten, die Papstwahl allein vorzunehmen, jedoch nachher die Beistimmung der übrigen Geistlichen und des Volks zu verlangen, von dem sie vor. her mit abhängig war. Endlich bestimmte 1179 Papst Alexander III., nachdem jedoch die Anzahl der wählenden Cardinäle vermehrt worden war, daß jeder Papst rechtmäßig gewählt sei, der zwei Drittheile ihrer Stimmen für sich habe, welches Gesetz noch besteht; durch Papst Sixtus V. aber ward im 16. Jahrh. die Zahl der allmälig zu fürstlichem Range gelangten Cardinäle auf 70 festgesetzt. Die Päpste vergeben diese Würde nach Willkür, gewöhnlich an Italiener und meist nur auf den Antrag auswärtiger Fürsten an vornehme Geistliche anderer Nationen. Äußere Abzeichen der Cardinäle sind der purpurrothe, mit gleichfarbigen Schnüren und Quasten gezierte Hut, unter dem sie eine rothe Calotte tragen, ein rother Chorrock mit einen Mäntelchen und eine rothe Satteldecke, wenn sie bei Aufzügen auf weißen Zeltern einherreiten. An die Stelle dieser rothen Kleidung, welche auf ihre Bereitwilligkeit gedeutet wird, ihr Blut für den katholischen Glauben hinzugeben, tritt übrigens bei Trauerfällen, in der Advents- und Fastenzeit eine gleiche von violetter Farbe. – Cardinalpunkte oder Gegenden heißen die vier Haupthimmelsgegenden N., S., O. und W., die dazwischen liegenden aber Nebengegenden. – Cardinal- oder Haupttugenden werden in der Sittenlehre die allgemeinen Tugenden genannt, aus denen die besondern wie die Zweige aus dem Stamme hervorgehen. Die Griechen und Römer nahmen als solche gewöhnlich die Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Tapferkeit an, da sie aber den Werth der menschlichen Handlungen mehr in Bezug auf den Staat als auf die Religion beurtheilten, so konnte durch diese Eigenschaften wol die beschränktere Aufgabe eines guten Staatsbürgers, nicht aber die eines Weltbürgers und eines nach Gottähnlichkeit strebenden Wesens, erreicht werden. Nach der Verbreitung des Christenthums, welches das Letzte zur Aufgabe jedes Menschen machte, wurden mit jenen vier Cardinaltugenden auch der Glaube, die Liebe und die Hoffnung, welche nach des Apostel Paulus Worten die Grundbedingungen des christlichen Lebens sind, in Verbindung gebracht, wobei aber der innere Zusammenhang fehlt. Mit Recht beschränkt man sich deshalb in neuerer Zeit auf zwei Stammtugenden, die Gerechtigkeit und die Liebe, und deutet dadurch zugleich die stufenweise Vervollkommnung des Lebens an, indem sich der Mensch von der bloßen Gesetzmäßigkeit seiner Handlungen nach und nach zu der Reinheit und Heiligkeit des Herzens, die das Gute aus Liebe zum Guten thut, erheben soll.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 383-384.
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