Graubündten

[260] Graubündten oder Bündten, nach Bern der größte Canton der schweiz. Eidgenossenschaft, der von den Cantonen St.-Gallen, Glarus, Uri und Tessino begrenzt wird und überdies an Liechtenstein, die Lombardei und Tirol stößt, enthält auf 121 ! M. 102,000 Einw., von denen der größte Theil die romanische, ein kleinerer die deutsche und der kleinste die ital. Sprache redet und von denen ungefähr zwei Drittel Protestanten, die übrigen Katholiken sind. Das Land wird von den mächtigsten Alpenketten durchzogen. Im S. ziehen sich die rhätischen Alpen hin, von denen sich mehre Arme nach N. erstrecken. Zwischen diesen Gebirgen sind herrliche Thäler, von zahlreichen Flüssen bewässert. Hier entsteht der Rhein aus dem Zusammenfluß des Vorder- und Hinterrheins, der Inn, welcher aus dem Silsersee kommt, und durch das stark bevölkerte Engadinthal fließt, die Lanquart, der Glenner, welche in den Rhein sich ergießen, und verschiedene andere. Die höchsten, über 10,000 F. hohen Bergspitzen sind das Moschelhorn, der Bernhardin, der Vogelberg, der Splügen, und nicht viel niedriger sind die Berge Oro, Septimer, Maloja u.a. Die Natur des Landes bringt es mit sich, daß die verschiedenartigsten Klimate in den verschiedenen Gegenden dieses Landes herrschen. Von Bergen, die in ewigem Eise starren, steigt man herab in üppige Thäler, in denen man das herrlichste Obst und den vortrefflichsten Wein findet Man sieht in G. vortreffliches Rindvieh, denn die Viehzucht ist eine Hauptbeschäftigung der Einwohner; in den rauhern Gegenden hausen Bäre, Wölfe [260] und Luchse, und auf den Alpen macht man auf Gemsen Jagd. Der einst hier hausende Steinbock ist ausgestorben. Aus den Gebirgen werden Mühlsteine, Kalk, Marmor, Alabaster. Steinkohlen, Blei, Zink und Eisen gewonnen; auch gibt es hier Mineralquellen. Außer mit Viehzucht und Landbau beschäftigen sich die Bewohner auch mit Handel und Gewerben. Viele treten in fremde Kriegsdienste, und eine nicht unbedeutende Anzahl lebt in Europa zerstreut als sogenannte Schweizerbäcker; doch kehren sie gern mit dem Erwerb in die Heimat zurück.

Zu der Römer Zeiten machte G. einen Theil der Provinz Rhätia aus und davon haben noch jetzt die rhätischen Alpen und das alte Schloß Rhäzins am Rhein, oberhalb Chur, in einer wildromantischen Gegend, den Namen. Später kam es durch den Vertrag von Verdun, 843 (s. Deutschland), zu Deutschland. Mit der Zeit verarmten der vorher mächtige Adel und die Klöster, und die Gemeinden, welche dadurch Freiheiten gewannen, traten in drei Bünde zusammen, den obern oder grauen Bund (1424), den Gotteshausbund (1425) und den Bund der Zehngerichte (1434), welche sich 1471 vereinigten, sich später als zugewandter Ort an die schweiz. Eidgenossenschaft anschlossen und endlich 1799 als eigner Canton aufgenommen wurden. G. hat gegenwärtig eine 1814 eingeführte und 1820 verbesserte demokratische Verfassung. Ein großer Rath von 65 Mitgliedern bildet in Verwaltungs- und landespoliceilichen Angelegenheiten die oberste Behörde, während die eigentlichen Regierungsangelegenheiten dem jährlich erneuerten kleinen Rathe, der aus drei Mitgliedern besteht, überlassen sind. Der Canton stellt zum Bundesheer 1600 M. und bezahlt 12,000 Francs. Noch jetzt wird er in die drei Bünde eingetheilt, von denen der graue Bund acht, der. Gotteshausbund 101/2 und der Zehngerichtenbund sieben Hochgerichte (Provinzen) enthält. Die Hauptstadt des ganzen Kantons und des Gotteshausbundes ist Chur (romanisch Coira) mit 3400 Einw., in einem schönen Thale, an dem Flusse Plessur, welchen Kanäle durch die Stadt leiten und der bald darauf in den von hier an für kleine Schiffe fahrbaren Rhein mündet. Chur ist der Sitz eines Bischofs, eines philosophischen Collegiums, einer ökonomischen und einer Bergbaugesellschaft. Unter den Gebäuden zeichnen sich die alte Domkirche und die dazu gehörige Dompropstei, die reformirte Kirche St.-Martin und die protestantische Cantonsschule aus. Chur leitet seinen Ursprung noch aus der Römerzeit ab und enthält noch Überbleibsel der Baukunst aus jener Zeit. – Zum grauen Bunde gehört der Bundesort Ilanz mit 500 Einw.; das Dorf Disentis mit einer Benedictinerabtei, deren bedeutende literarische Schätze 1799 von den Franzosen zerstört wurden, und der Niederlagsort Thusis, wo sich die Straßen über den Splügen und den Bernhardin theilen. Im Zehngerichtenbund liegen der Ort Davos und das Städtchen Maienfeld am Rhein. Chur, Ilanz und Maienfeld sind die einzigen Städte in G.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 260-261.
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