Brahmanen (Braminen)

[161] Brahmanen (Braminen), Braminen, sind in Indien die Genossen der Priesterkaste, welche die erste und vornehmste bildet. Höherer Macht, als die Brahmanen Indiens, hat sich kaum eine Priesterschaft auf der ganzen Erde zu rühmen. Die Verehrung, die ihnen zu Theil wird, grenzt an Abgötterei. Sie allein sind Lehrer des Gesetzes (Veda), sie allein dürfen Andern bei Opferungen beistehen, und Geschenke von reichen Händen annehmen. Niemand, selbst kein König, darf die Brahmanen zum Zorn dadurch reizen, daß er ihre Einkünfte einzieht oder schmälert, und der Brahmane sei unwissend oder sei gelehrt, so ist er gleichsam ein göttliches Wesen, er übe schwere, den Göttern gefällige Büßungen, oder gebe sich niedrigen Beschäftigungen hin. Selbst die Götter ehren die Brahmanen von der Geburt an, und was ein solcher dem Menschengeschlecht verkündigt, ist ein entscheidender Ausspruch. Einen Brahmanen zu tödten, ist das größte Verbrechen, das sogar ein König nicht wagen darf, selbst wenn der Brahmane ein Verbrecher wäre; nur verbannen darf er ihn, doch ohne Schädigung an Leib und Habe. Die Klasse der Brahmanen zerfällt in vier Abtheilungen, wie ihr Leben. Die erste ist der Stand des Schülers, in den ein Brahmane mit dem Knabenalter eintritt, und dann Brahmakiari heißt. Als solcher dient er einem ältern Brahmanen mit willigem Gehorsam, und bereitet sich durch die Tugenden der Reinlichkeit, Enthaltsamkeit, Dienstfertigkeit und Pflichterfüllung zu einer höheren Stufe vor. Er lernt die Kenntniß des Veda, mit eifrigem Geist und reiner Seele, und wenn sein Lehrer sterben sollte, so unterstützt er dessen Sohn oder Witwe lebenslänglich; sind aber keine väterlichen Verwandten mehr übrig, so nimmt er dessen Stelle ein, und[161] pflegt die heiligen Opferfeuer mit Aufmerksamkeit, und bereitet seine Seele zum Himmel vor. Hat der Brahmaklari die drei Veda's inne, so mag er sich in das zweite Lebensstadium, Grahasta, den Stand der Ehe, begeben. Er kehrt nach Hause zurück, und wählt eine makellose Jungfrau aus seiner Kaste, mit einem angenehmen Namen, und wohlgestaltet. Die Frauen müssen in Ehren gehalten werden, das gefällt den Göttern wohl, und wer sie mißhandelt und verachtet, dessen religiöse Uebungen verlieren allen Werth. Im Stand der Ehe hat der Brahmane täglich in den heiligen Schriften zu lesen, und die fünf großen Sakramente zu begehen. Er muß ein Feuer auf seinem Herd unterhalten, über welchem er bloß Speise für die Götter kocht, und dabei noch vielen andern Göttern opfern. Er darf kein lebendes Geschöpf beschädigen, noch weniger tödten, und zu seinem Unterhalt nur gesetzmäßige Mittel wählen. Dieser Mittel sind vier: Auflesen und Einsammeln von Körnern und Aehren, Annahme unerbetner Gaben, Bitten um Almosen, und Ackerbau. Er muß in steter Zufriedenheit sein Glück finden und habsüchtige Wünsche verbannen. Der dritte Stand ist der der Einsiedler, Vanaprasti. Wenn der Brahmane nun sieht das Kind seines Kindes, wenn sein Haar ergraut, dann muß er sich in einem Wald eine einsame Wohnung wählen, und vom Haus nichts mit dahin nehmen, als sein Opfergefäß und sein heiliges Feuer, nebst den Büchern des Gesetzes. Dort in stiller Zurückgezogenheit lebt er von Kräutern, Blumen, Wurzeln, Früchten, Oel und Wasser, und gibt sich einem, die Sinne bewältigenden, geduldigen, wohlwollenden, stets auf das höchste Wesen gerichteten Dasein hin. Dabei beobachtet er viele harte Büßungen, und ist in Selbstpeinigungen, die an Strenge alle Kasteiungen der Mönche und Einsiedler des Abendlandes weit übertreffen, erfinderisch. Im heißen Sonnenbrand jener Zone sitzen büßende Einsiedler, von vier Feuern umlodert, unter den Wolkengüssen in der Regenzeit unbedeckt, ohne Mantel; in der Kälte der Nächte in nassen Kleidern[162] ihr Bette ist die harte Erde; je mehr Büßungen und Selbstqual, desto größer ist die Heiligkeit. Außer diesen ist den Einsiedlern auch noch Gastfreundlichkeit und liebende Pflege der Pflanzen und Thiere Gesetz. Die höchste Vollkommenheit aber erlangt ein Brahmane erst in der vierten Periode seines Lebens, Bhikschu; im Stand eines Sanyassi, welcher die gänzliche Ruhe in Gott, das von Leidenschaften nicht berührte, von Schmerz nicht mehr angefochtene, von Kummer nicht heimgesuchte, selige Insichselbstversunkensein zu erstreben sucht. Um dieses zu erlangen, muß er aber zuvor die drei vorhergehenden Stände durchwandelt, und seine Schuld an die Weisen, an die abgeschiedenen Seelen und an die Götter abgetragen haben. Er darf nichts mit an den neuen Aufenthaltsort nehmen, als sein Wassergefäß und seinen Stab, darf nicht mehr sprechen, nichts mit dem Blick der Begehrung ansehen; gänzlich einsam muß er wohnen, darf nicht Feuer haben, nicht Obdach, doch darf er bewohnte Orte betreten, wenn ihn hungert. Er darf den Tod nicht wünschen, aber auch keine Lebensverlängerung; heiter und ruhig muß er das Ewige betrachten, und vertieft in solchen Gedanken sitzend, muß Irdisches diesen Gedanken fern sein. Er kann die Seelenwanderung und die Qualen und Läuterungen der Seelen, die Strafen derer, welche ihre Pflichten verletzen und vor Allem das Wesen des höchsten Geistes zum Gegenstand seiner Betrachtungen machen. So kann man schon in der Hülle des sterblichen Leibes einen erhöhten gehobenen Zustand, eine Ahnung des seligen Lebens im Schoos der Gottheit erlangen, bis die Seele freudig die irdische Wohnung verläßt, und entsündigt zur Vereinung mit dem Allerhöchsten übergeht. Will ein Brahmane Priester werden, so muß er einen untadeligen Körper haben, muß geloben, nie zu heirathen, muß 12 Jahre in einer Priesterschule studiren, 5 Jahre gänzlich schweigen, und die Geheimnisse der Religion erlernen, nebst den weltlichen Wissenschaften, dann werden die Schüler entweder Opferpriester, oder Tempelpriester, oder selbst Lehrer der Wissenschaften[163] und Gesetze. Cultus und Lebensweise der Brahmanen sind noch heute, wie vor Jahrtausenden. Das ganze religiöse wie bürgerliche Leben der Hindus, so weit es die Europäer nicht gestört haben, gleicht einem großen, ewig still stehenden See, auf welchem still und geheimnißvoll das mystische Nelumbium schwimmt.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 161-164.
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