Alldeutscher Verband

[342] Alldeutscher Verband, nationaler Schutz- und Agitationsverein, gegründet unter dem Namen Allgemeiner Deutscher Verband 9. April 1891 (die Namensänderung erfolgte 1. Juli 1894), als die Erregung über die Preisgabe wichtiger deutscher Interessen durch den Sansibarvertrag in Deutschland weite Kreise ergriffen hatte. Er will das deutsche Nationalgefühl vertiefen und das deutsche Volk auf die Aufgaben hinweisen, die ihm durch seine Weltmachtstellung namentlich in überseeischen Ländern erwachsen sind. Er tritt daher für eine kräftige nationale Kolonial- und Auswanderungspolitik ein sowie für den Schutz des Deutschtums im Ausland, indem er auf energisches diplomatisches Einschreiten sowie auf Vermehrung und bessere Unterstützung deutscher Schulen im Auslande hinarbeitet. Ferner ist er bemüht, die außerhalb der Reichsgrenzen wohnenden Deutschen bei ihrem Volkstum zu erhalten, indem er mit den Deutschen in Österreich-Ungarn enge Beziehungen hergestellt hat und auf die in überseeischen Ländern wohnenden Deutschen durch Gründung von Ortsgruppen einwirkt. Um das Deutschtum vor slawischer und angelsächsischer Erdrückung zu bewahren, erstrebt der Alldeutsche Verband ein enges staatsrechtliches Verhältnis des Deutschen Reiches mit Österreich-Ungarn sowie die Schaffung eines mitteleuropäischen Zoll- und Wirtschaftsgebiets, das auch die Schweiz und die beiden Niederlande zu umfassen hätte. Frei von jeder Parteipolitik und durchaus paritätisch will er lediglich nationale Ziele verfolgen. Als die geeigneten Mittel zur Erreichung dieser Ziele bezeichnen die Verbandssatzungen:

[342] 1) Belebung des vaterländischen Bewußtseins in der Heimat und Bekämpfung aller der nationalen Entwickelung entgegengesetzten Richtungen. 2) Lösung der Bildungs-, Erziehungs- und Schulfragen im Sinne des deutschen Volkstums. 3) Pflege und Unterstützung deutsch-nationaler Bestrebungen in allen Ländern, wo Angehörige unsers Volkes um die Behauptung ihrer Eigenart zu kämpfen haben, und Zusammenfassung aller Deutschen auf der Erde für diese Ziele. 4) Förderung einer tatkräftigen deutschen Interessenpolitik in Europa und über See, insbes. auch Fortführung der deutschen Kolonialbewegung zu praktischen Ergebnissen. Auch die innere nationale Festigung des Deutschen Reiches zählt zu den Aufgaben des Alldeutschen Verbandes, daher sein Eingreifen in den preußischen Ostprovinzen, wo der Alldeutsche Verband bereits 1893 vor dem Bestehen des Ostmarkenvereins die Polenpolitik des Grafen Caprivi bekämpfte, in Schleswig gegenüber den Dänen und in Elsaß-Lothringen gegenüber den Protestlern. Der Verband wurde 1893 reorganisiert und entwickelt sich seitdem in steigendem Maße. Die Mitgliederzahl betrug Mitte 1897 an 12,000, die Zahl der Ortsgruppen 82, davon 28 im Ausland (außerdem an 200 Vertrauensmänner). Am 1. Jan. 1902 zählte der Verband 21,924 Mitglieder und 217 Ortsgruppen, davon 26 mit 2300 Mitgliedern im Ausland. Verdienste des Verbandes sind seine Agitation für die Vermehrung der Flotte seit 1894, schon vor dem Bestehen des Flottenvereins, und sein Eintreten zugunsten der Buren seit 1898, worin ihm fast das ganze Volk gefolgt ist. Die vom Verbande veranstaltete Geldsammlung für die Buren betrug bis Mai 1902: 542,522 Mk. Die Verwaltung liegt in den Händen der Hauptleitung, eines geschäftsführenden Ausschusses und des Vorstandes. Gegenwärtiger Vorsitzender ist der Reichstagsabgeordnete Professor Ernst Hasse (s. d.) in Leipzig; Verbandsschrift sind die wöchentlich in Berlin erscheinenden »Alldeutschen Blätter«. Daneben erscheinen Flugschriften des Verbandes (»Der Kampf um das Deutschtum«) bei J. F. Lehmann in München. Vgl. »Alldeutsches Werbe- und Merkbüchlein« (6. Aufl., Münch. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 342-343.
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