Amazonen

[410] Amazonen, im griech. Mythus ein streitbares Frauenvolk, das unter einer Königin lebte und nur einmal im Jahr mit Männern benachbarter Völker zum Zweck der Fortpflanzung Umgang pflog. Nur die Mädchen zog man auf und brannte ihnen zwecks besserer Handhabung des Bogens eine oder beide Brüste ab. Ihre Hauptgötter waren Ares und Artemis. Furchtbare Kriegerinnen zu Fuß und zu Roß und mit Bogen, Doppelaxt und halbmondförmigem Schild bewaffnet, unternahmen sie weite Kriegszüge in Asien und Europa, auf denen sie viele Städte zerstörten, aber auch neue, wie Smyrna, Ephesos, Kyme, gründeten. Bei Homer hat Bellerophon in Lykien und Priamos in seiner Jugend in Phrygien mit ihnen gekämpft. Nachhomerische Sage ließ sie unter der Königin Penthesileia (s. d.) Priamos zu Hilfe ziehen. Herakles holte aus ihrem Lande den Gürtel der Königin Hippolyte. Wegen der Entführung der Antiope durch Theseus fallen sie in Attika ein, wo entweder Antiope Frieden vermittelt oder sie in einer furchtbaren Schlacht besiegt werden. In Griechenland zeigte man vielfach Gräber und Lagerplätze von A. Als ihr Stammsitz galt Themiskyra am Fluß Thermodon in Pontos. Als die Griechen diese Gegenden kennen lernten und keine A. fanden, ließ man sie durch Herakles vernichtet oder nach Skythien ausgewandert sein. Der Ursprung der Amazonensage ist unaufgeklärt.

Amazone (Berlin).
Amazone (Berlin).

Bald hat man in ihnen ein historisches Volk von kriegerischen Weibern sehen wollen (Mordtmann, »Die A.«, Hannov. 1862), bald sie für Hierodulen einer asiatischen Göttin gehalten; wahrscheinlich ist die Sage auf skythische Völker zurückzuführen, bei denen vorzeiten das Mutterrecht galt, und die mehrfach Kriegszüge in die asiatischen Küstenländer unternommen haben. – In der griechischen Kunst ein beliebter Gegenstand, wurden die A. als kriegerische Jungfrauen, und zwar stets mit beiden Brüsten, bald in skythischer, bald in griechischer Tracht, mit aufgeschürztem Chiton, eine Schulter und die Brust bloß, zu Roß oder zu Fuß dargestellt. Ungemein häufig findet sich der Kampf zwischen A. und Griechen auf Friesen (vom Tempel von Phigalia, im Britischen Museum [s. Tafel »Bildhauerkunst III«,[410] Fig. 9] und Magnesia; vom Mausoleum zu Halikarnaß, in London; vom Heroon zu Gjölbaschi in Wien etc.), Vasenbildern und Sarkophagen. In Athen sah man ihn am Schilde der Athene Parthenos, in Wandbildern im Theseion und in der sogen. bunten Halle (Stoa Poikile). Die berühmtesten Statuen von A. waren die von Pheidias, Polyklet und Kresilas. Davon scheint die des Polyklet noch in Kopien erhalten zu sein (ein gutes Exemplar in Berlin, s. Abbildung, S. 410). Nachbildung eines andern dieser Werke ist die sogen. Matteische Amazone im Vatikan. Die moderne Kunst hat, wie besonders die Amazonen von Kiß vor dem Berliner Museum (s. Tafel »Bildhauerkunst XIV«, Fig. 6) und von Tuaillon vor der Berliner Nationalgalerie beweisen, den antiken Stoff mit Glück umgebildet. Vgl. Steiner, Über den Amazonenmythus in der antiken Plastik (Leipz. 1857); Stricker, Die A. in Sage und Geschichte (Berl. 1868); Kingmann, Die A. in der attischen Literatur und Kunst (Stuttg. 1875); Corey, De Amazonum antiquissimis figuris (Berl. 1891). – Böhmische A. werden die Frauen genannt, die (der Sage nach) 739 nach Ermordung ihrer Männer den Böhmischen Mägdekrieg anfingen und erst nach fast sieben Jahren unterworfen wurden. Auf Südamerika übertrugen die Entdecker und Eroberer infolge des Wiederauflebens der Erinnerung an die A. des Altertums die irrige Sage von amerikanischen A. (s. Amazonenstrom, am Schluß).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 410-411.
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