Ballāde

[305] Ballāde, eine episch-lyrische Dichtungsgattung, der Romanze (s. d.) entsprechend. Der Name findet sich zuerst bei den Provenzalen, wo balada (von balar, »tanzen«) soviel wie Tanzlied bedeutet, d. h. ein von den Tanzenden selbst während des Tanzes gesungenes Lied. Der provenzalischen balada entspricht die altitalienische ballata, die altfranzösische balete. In der französischen Literatur wurde dann unter ballade ein Gedicht in einer bestimmten Form verstanden: drei Strophen, durchgereimt, ihre letzte Zeile bildet Refrain; eine kürzere vierte Strophe, das sogen. envoi, entspricht metrisch dem Schluß der Strophenform und wird meist mit dem Worte Prince eingeleitet. Diese Art der B. hat vom Ende des 13. Jahrh. bis ins 16. Jahrh. die französische Literatur dermaßen beherrscht, daß jede andre Form dagegen zurücktritt; sie ist dann vereinzelt bis auf unsre Zeit (z. B. von Lafontaine und Théodore de Banville) angewendet worden. In England wird das Wort B. (ballad) noch heute synonym mit rondeau oder song gebraucht. Für uns hat es im letzten Drittel des 18. Jahrh. seinen besondern Sinn gewonnen hauptsächlich durch die Eigenart nordischer Volksballaden (»popular ballads«), die den Menschen im Kampf mit Menschen oder übermächtigen, unheimlichen Naturgewalten ringend und untergehend darstellen. Es haftet demgemäß für uns an der B. etwas eigentümlich düster Gewaltiges im Gegensatze zu der mehr heitern, farbenprächtigen Romanze. Doch ist eine scharfe Grenze zwischen beiden Gattungen nicht zu ziehen. Zu jenen nordischen Balladen gehören vor allem die sogen. Border-ballads, die Kämpfe und Ereignisse auf der Grenzmark zwischen England und Schottland besingen, zuerst von Percy (1765) wirksam veröffentlicht und danach z. T. durch Herder (»Dein Schwert, wie ist's vom Blut so rot, Edward«) dem deutschen Volke zugänglich gemacht wurden. Aus diesen ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. die moderne deutsche B. herausgewachsen, die in GoetheErlkönig«, »Fischer«), SchillerTaucher«, »Ritter Toggenburg« etc.), Uhland (»Das Schloß am Meer«), Heine (»Die beiden Grenadiere«, »Belsazar«, »Loreley«) u. v. a. glänzende Blüten trieb. – In der Musik ist die B. die Komposition eines Gedichts, das auf den Namen B. Anspruch hat, für eine Singstimme (mit Instrumentalbegleitung) und taucht als solche in der Musikliteratur gegen Ende des 18. Jahch. auf, wo Joh. Andre, Fr. Reichardt und K. Fr. Zelter, besonders aber Zumsteeg die Balladen [305] Bürgers, Schillers und Goethes in Musik setzten; doch blieb es dem genialen Franz Schubert vorbehalten, den eigenartigen ästhetischen Wert der B. (»Erlkönig«, »König in Thule«, »Der Fischer«) musikalisch zu erschließen. Auch Bernhard Klein gehört unter die ersten Balladenkomponisten (»Erlkönig«). Der Spezialmeister dieser neuen Form wurde aber Karl Löwe, dem es gelang, die Einheitlichkeit der musikalischen Gestaltung durch die dem Volkslied abgelauschte refrainartige Durchführung eines plastischen melodischen Hauptgedankens zu gewinnen, ohne doch darum die von Zumsteeg und Schubert ausgebildete Charakteristik im einzelnen aufgeben zu müssen (»Odins Meeresritt«, »Oluf«, »Archibald Douglas«, »Der Nöck« etc.). Von neuern Balladenmeistern ist besonders noch Robert Schumann zu nennen (»Die beiden Grenadiere«, »Die rote Hanne«, »Belsazar«), der indes über Löwe und Schubert nicht eigentlich hinauskam, aber eine erweiterte Form der Balladenbehandlung unternahm, nämlich die für Soli, Chor und Orchester (»Das Glück von Edenhall«, »Des Sängers Fluch« u. a.), die Form damit in die des weltlichen Oratoriums auflösend. Instrumentalwerke mit der Bezeichnung B., für Klavier (Chopin, Brahms), für Orchester (H. v. Bülows »Des Sängers Fluch«) oder ein Soloinstrument mit Orchester gehören zur darstellenden, charakteristischen (Programm-) Musik. Vgl. Spitta, Musikgeschichtliche Aufsätze (Berl. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 305-306.
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