Beuteltiere

[784] Beuteltiere (Marsupialia, hierzu Tafel »Beuteltiere I u. II«), Ordnung der Säugetiere und im Verein mit den Kloakentieren (s. d.) von allen übrigen Säugetieren durch viele Merkmale scharf getrennt. Der Schädel zeigt meistens Pyramidenform infolge der stark zugespitzten Schnauze; die Zähne sind entsprechend ihrer verschiedenartigen Ernährung recht different und ähneln denen der Nagetiere, Insekten- und Fleischfresser (vgl. die Übersicht am Schluß des Artikels). Der Unterkiefer ist in seinem Winkel nach innen gedreht und mit einem Fortsatz versehen, so daß er (was bei den fossilen Arten wichtig ist) leicht als einem Beuteltier zugehörig erkannt wird. Ebenso charakteristisch sind die Beutelknochen, die vom Vorderrande des Beckens schräg nach unten ragen und auch bei den Arten mit nur wenig entwickeltem Beutel[784] vorhanden sind. Allen Beuteltieren fehlt der sonst bei den Säugetieren vorhandene Balken (corpus callosum) des Gehirns; überhaupt ist dieses, namentlich das Großhirn, sehr klein. Bis auf Perameles und Choroepus haben alle B. Schlüsselbeine. Die Vorderbeine sind bei den springenden sehr kurz, sonst lang und mit langen Krallen versehen; bei einigen Gattungen können die innern Finger den äußern gegenübergestellt werden, so daß ein Greifen wie mit einer Hand möglich wird. Die Hinterbeine haben freie Zehen mit Krallennägeln und einen zum Laufen geschickten Fuß, oder die Zehen sind zum Teil verwachsen und Mittelzehe nebst Mittelfuß dienen, sehr lang geworden, zum Springen; noch andre B. haben Greiffüße, an denen, wie bei den Affen, die große Zehe den übrigen entgegengestellt werden kann. Der Schwanz wird häufig als Stütze beim Sitzen oder als Wickelschwanz beim Klettern benutzt, kann jedoch auch kurz bleiben oder fehlen. Die Zitzen liegen hinten am Bauch und sind verhältnismäßig sehr lang; alle zusammen werden von einer einfachen Hautfalte oder einer förmlichen Tasche (Beutel) umgeben, die sich mit einem Schlitz nach außen öffnet. Die Scheide ist paarig; die Jungen werden nach sehr kurzer Tragezeit in relativ wenig ausgebildetem Zustand und sehr klein (beim Riesenkänguruh wenige Zentimeter lang) geboren, sie sind nackt und blind. In den Beutel gebracht, bleiben sie bis zu einem halben Jahr an den Zitzen haften, um dann erst endgültig geboren zu werden. Damit sie beim Saugen atmen können, ragt der Kehlkopf weit nach vorn, und die Milch gelangt seitlich an ihm vorbei in die Speiseröhre. Bei geringerer Entwickelung des Beutels heften sich die Jungen besonders fest an die Zitzen und suchen außerdem mit dem Schwanz Halt an der Mutter zu gewinnen, die sie später auf dem Rücken trägt. Die den Beuteltieren fehlende Placenta (Aplacentalia) ist neuerdings bei Perameles von Hill aufgefunden worden; auch andre B. scheinen eine rudimentäre Placenta zu besitzen. Fast alle B. sind nächtliche Tiere. Sie leben in Australien und auf den nördlich davon gelegenen Inseln sowie in Tasmania; eine einzige Gruppe kommt in Südamerika vor. In frühern Erdperioden waren sie jedoch auch in Europa (Frankreich, England) und ganz Amerika verbreitet, haben aber vor den großen Raubtieren weichen müssen. Einige Arten werden des Fleisches halber gejagt. Man kennt etwa 40 lebende Gattungen mit 150 Arten und bringt sie in acht Familien unter.


Übersicht der Beuteltiere.

i bedeutet Schneidezähne, e Eckzähne, p Prämolaren, m Molaren (Backenzähne). Vgl. Gebiß.

I. Wurzelfresser (Rhizophaga, Nagebeutler, Glirina).

1. Familie: Beutelmäuse oder Wombate (Phascolomydae). Plumpe Tiere mit Nagetiergebiß (i 1/1 c 0/0 p 1/1 m 4/4). Nur der Wombat (Phascolomys) in Südaustralien und Tasmania.

II. Krautfresser (Poëphaga, Springbeutler, Macropoda).

2. Familie: Känguruhs (Halmaturidae). Gebiß dem der Pferde ähnlich (i 3/1 c 0/0 oder 1/0 p 1/1 m 4/4); Vorderbeine bedeutend kürzer als Hinterbeine; letztere dienen nebst dem starken Stemmschwanz zum Springen. 10 Gattungen mit über 50 Arten, in Australien und auf den benachbarten Inseln; von dort sind auch fossile Känguruhs bekannt, namentlich Diprotodon, von der Größe eines Elefanten (s. unten). Wichtig: Känguruh (Macropus oder Halmaturus), Buschratte (Hypsiprymnus), von Hasengröße.

III. Fruchfresser (Carpophaga, Kletterbeutler, Scandentia). Hinterfüße mit gegenstellbarer großer Zehe, also Greiffüße.

3. Familie: Beutelbären, (Phascolarctidae). Plump, Kopf dick, Schwanz verkümmert. An den Vorderfüßen die 2 innern Zehen den 3 äußern gegenstellbar. Gebiß: i 3/1 c 1/0 p 1/1 m 4/4. Nur der Koala (australisches Faultier, australischer Bär, Phascolarctus cinereus) in Neusüdwales. Lebt von Wurzeln, Knospen etc.

4. Familie: Phalanger (Phalangistidae). Kleinere Tiere mit langem Greifschwanz. 7 Gattungen mit 26 Arten, gehen nördlich bis Celebes. Hierher unter andern: Tarsipes, von Mausgröße, saugt Honig; der Flugbeutler (Petaurus, mit dem Zuckereichhorn), hat eine behaarte Flughaut; der Kusu (Phalangista, mit dem Fuchskusu).

IV. Fleischfresser (Rapacia). Gebiß dem der Insektenfresser oder Raubtiere ähnlich.

5. Familie: Beuteldachse (Peramelidae). Gebiß: i 5/3 c 1/1 p 3/3 m 4/4. Hinterbeine viel länger als Vorderbeine, daher zum Springen geeignet. 3 Gattungen mit 10 Arten, in Australien und den Nachbarinseln. S. Beuteldachs.

6. Familie: Ameisenbeutler (Myrmecobiidae). Gebiß mit jederseits sechs Backenzähnen. Schnauze lang und spitz. Beutel nicht entwickelt. Nur der Ameisenbeutler (Myrmecobius fasciatus).

7. Familie: Beutelmarder (Dasyuridae). Raubtiergebiß; Hinterfüße vierzehig. 10 Gattungen mit 30 Arten, in Australien und den benachbarten Inseln; hierher unter andern: der Beutelwolf (Thylacinus), der Beutelmarder (Dasyurus), mit dem Teufel (Diabolus ursinus), Beutelbilch (Phascologale); die kleinste Art, P. minutissima, wird nur 6,5 cm lang, die Beutelspringmaus (Antechinomys laniger).

8. Familie: Beutelratten (Didelphyidae). Mittelgroße Tiere mit großen Augen und Ohren, meist mit Greifschwanz, daher gute Kletterer, zumal an den Hinterfüßen die große Zehe gegenstellbar ist. Gebiß: i 5/4 c 1/1 p 3/4 m 4/3. Drei Gattungen mit über 20 Arten, nur in Amerika vom 42.° südl. Br. bis zum Hudson, am zahlreichsten in Brasilien. Hierher: die Beutelratte oder Opossum (Didelphys virginiana), die Äneasratte (D. dorsigera) etc., der Schwimmbeutler (Chironectes), mit Schwimmhäuten an den Hinterzehen, in Brasilien und Guayana.


Den australischen Beuteltieren schließt sich eine Anzahl fossiler Formen an, die aus jüngern (diluvialen) Ablagerungen Australiens stammen und z. T., wie Diprotodon (s. Tafel »Diluvium I«), riesige Körpergröße besaßen. Den amerikanischen Didelphyiden nahe stehende Formen finden sich fossil auch im Oligocän und Miocän von Europa und Nordamerika. Ob einige Tiere aus der Sekundärzeit, wie Phascolotherium und Amphitherium (s. d. und Tafel »Juraformation II«), zu den Beuteltieren gerechnet werden dürfen, ist ungewiß. Vgl. Owen, Marsupialia (Lond. 1812); Waterhouse, Marsupiata, or pouched animals (das. 1846); Gould, Mammals of Australia (das. 1863–74); Thomas, Catalogue of the Marsupialia and Monotremata in the collection of the British Museum (das. 1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 784-785.
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