Gerichtsvollzieher

[644] Gerichtsvollzieher (franz. Huissier) heißt der mit der Ausführung von Ladungen, Zustellungen und gewissen Vollstreckungshandlungen betraute Beamte. Im Gegensatz zu den Gerichtsdienern wurde[644] in der deutschen Zivilprozeßordnung dem G. eine selbständigere Stellung zugedacht, so daß er innerhalb des ihm überwiesenen Geschäftskreises selbständig und unter eigner Verantwortlichkeit handelt. Insbesondere wurde ihm als Beauftragtem der Parteien in weitem Umfang die Ausführung der Zwangsvollstreckung (s.d.) übertragen. Im Zivilprozeß wie in Strafsachen hat der G. die Zustellungen und Ladungen zu besorgen. Endlich ist ihm im Strafprozeß die zwangsweise Beitreibung der Vermögensstrafen und Bußen übertragen. Die Dienst- und Geschäftsverhältnisse der G. sind in dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 im einzelnen nicht geregelt worden; die Geschäftseinrichtung wird bei dem Reichsgerichte nach § 155 durch den Reichskanzler, bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung geregelt. Infolgedessen bestehen in den einzelnen Bundesstaaten sehr verschiedenartige Einrichtungen. In einzelnen Ländern, z. B. in Hamburg, bestehen sogen. Gerichtsvollzieherämter. In Bayern werden seit dem 1. Jan. 1900 die Gerichtsvollziehergebühren vom Staate vereinnahmt und die G., die früher die Gebühren selbst bezogen, besoldet. Auch in Preußen wurden durch die am 1. Okt. 1900 in Kraft getretene neue Gerichtsvollzieherordnung vom 31. März 1900 ähnliche Einrichtungen getroffen. Die Fälle, in denen der G. von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist, bestimmt das Gerichtsverfassungsgesetz (§ 156). Dies ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten dann der Fall, wenn er selbst Partei oder gesetzlicher Vertreter einer Partei ist oder zu einer solchen im Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Schadenersatzpflichtigen steht; ferner, wenn seine Ehefrau Partei ist; endlich, wenn eine Person Partei ist, mit der er in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht. In Strafsachen ist ein G. dann zur Ausübung seines Amtes unfähig, wenn er selbst durch die strafbare Handlung verletzt, wenn er der Ehemann der Beschuldigten oder Verletzten ist oder gewesen ist, oder wenn er mit dem Beschuldigten oder Verletzten in dem oben bezeichneten Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis steht. Die Gebühren der G. sind durch ein Reichsgesetz vom 24. Juni 1878, die Gebührenordnung für die G., geregelt und durch ein Nachtragsgesetz vom 29. Juni 1881 etwas ermäßigt worden. Vgl. Schönfeld, Der preußische G. (5. Aufl., Bresl. 1901); Walter, Der Gerichtsvollzieherdienst in Preußen (2. Aufl., Berl. 1901ff., 3 Bde.); Huber, Die reichsgesetzlichen Bestimmungen für den deutschen G. (Leipz. 1900); Rottmann, Handbuch für den Gerichtsvollzieherdienst im Königreich Bayern (2. Aufl., Würzb. 1902); Pörschel, Der sächsische G. (Leipz. 1904); Franz, Reichsgebührenordnung für G. (Straßb. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 644-645.
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