Preußen [2]

[292] Preußen, litauisches Volk, von dem sich der Name auf das von ihnen bewohnte Land an der Ostsee übertragen hat. Der an der Ostseeküste gefundene Bernstein machte Preußen frühzeitig zu einem des Handels wegen besuchten Lande. Der griechische Seefahrer Pytheas (um 320 v. Chr.) nennt die Guttonen (Gutten oder Gudden) als Einwohner, Tacitus bezeichnet sie als Ästier, d. h. Ostleute; letztere schickten um 500 n. Chr. eine Gesandtschaft mit Bernsteingeschenken an den Ostgotenkönig Theoderich d. Gr. nach Italien. Späterhin verschwand der gemeinsame Name Ästier oder Esthen und ging auf die weiter ostwärts wohnende finnische Bevölkerung Esthlands über. Für die Stämme der alten Gutten oder Ästier kamen besondere Namen auf, wie Kuren, Semben und Pruzzen (oder Preußen, d. h. die Klugen, die Wissenden), letzterer für die Bewohner Samlands und der Küste des Kurischen Haffs bis tief in das Binnenland hinein. Das Gebiet der P. zerfiel in elf Gaue: Kulm und Pomesanien an der Weichsel, Pogesanien, Warmien (Ermeland) und Natangen am Frischen Haff, Samland, Nadrauen und Schalauen am Kurischen Haff, Barten, Sudauen und Galinden im Binnenland. Die P. sind indogermanischer Herkunft; ihre vor 200 Jahren ausgestorbene Sprache war dem Litauischen verwandt. Über ihre Mythologie vgl. Litauische Sprache, S. 613. Sie waren tapfere, wohlgeübte Krieger, grausam gegen ihre Feinde, aber gastfreundlich gegen fremde Besucher. Der Bischof Adalbert von Prag versuchte zuerst ihnen das Christentum zu verkündigen, drang tief landeinwärts, bezahlte aber (23. April 997) seinen Eifer mit dem Leben. Erst seit 1208 trat der Mönch Christian von Oliva wieder als Missionar auf und wurde 1215 erster Bischof von Preußen. Allein die endliche Christianisierung des Landes scheiterte an der Furcht der P., mit der Annahme des Christentums ihre Unabhängigkeit[292] einzubüßen. Sie fielen seit 1223 wiederholt in das Kulmer Land ein und verheerten auch Masovien. Bischof Christian gründete deshalb nach dem Muster der Schwertbrüder in Livland 1225 zu Dobrin an der Drewenz den Orden der Ritter Christi; indes auch dieser vermochte nichts auszurichten und ging zugrunde. Christian und Konrad von Masovien suchten und fanden nun 1226 Hilfe bei dem Deutschen Orden (s. d., S. 734 f.). Hochmeister Hermann von Salza übernahm nun den Kampf gegen die P. und ließ sich von Kaiser Friedrich II. das Kulmer Land und Preußen als Lehen des Reiches und die Reichsfürstenwürde übertragen, was Papst Gregor IX. bestätigte. Auf dem linken Weichselufer, dem jetzigen Thorn gegenüber, wurde 1229 die erste Deutschordensburg, Vogelsang, erbaut. 1230 gingen 20 Ordensritter mit 200 Knappen und Hermann Balk als erstem Landmeister nach Preußen und legten als Rückhalt für ihre Streifzüge die Burgen Thorn und Kulm an. Nun strömten, als die Kirche in Deutschland das Kreuz gegen die heidnischen P. predigte und den Kreuzfahrern dieselben Gnadenschätze wie denen nach Jerusalem verhieß, zahlreiche Pilger herbei, die sich durch todesmutigen Kampf unter den Ordensrittern den versprochenen Himmelslohn verdienen wollten. Ihnen folgten zahlreiche deutsche Ansiedler, die das Deutschtum ausbreiteten. Bereits 1232 entstanden um die Burgen die Städte Kulm und Thorn. Der Orden begünstigte die Einwanderung durch Privilegien und gewährte namentlich den Städten durch die »Kulmer Handfeste« selbständige Verwaltung. Durch immer neue Scharen Kreuzfahrer unterstützt, konnte der Orden systematisch arbeiten und legte mit jedem Schritte, den er vorwärts drang, Burgen an, so 1233 Marienwerder in Pomesanien, 1237 Elbing in Pogesanien, besetzte sie und bevölkerte die daneben entstehenden Städte mit deutschen Einwanderern. Zu diesen kamen auch die Kaufleute der Hansa, namentlich lübische, die um die Burg Elbing eine Stadt bauten. 1237 wurde auch der livländische Schwertbrüderorden mit dem Deutschen Orden vereinigt.

Die P. setzten einen sehr hartnäckigen Widerstand entgegen; aber die Stämme stritten meist einzeln für ihre Freiheit, und dies erleichterte dem Orden ihre endliche, wenn auch nur allmähliche Bezwingung. Erst als die P. die völlige Unterjochung vor Augen sahen, erhoben sich 1242 alle Stämme; Swantopolk von Pommern griff von Westen her das Ordensgebiet an, wurde aber 1248 zum Frieden gezwungen; die Aufständischen unterlagen 1253. Die Landschaften Barten und Galinden wurden nun bald unterworfen. Wenig später (1255) traf abermals ein Kreuzheer von 60,000 Mann unter König Ottokar von Böhmen und Markgraf Otto von Brandenburg an der Weichsel ein. Ganz Samland ward unterworfen, und ein großer Teil der Einwohner, die Edlen voran, ließ sich taufen. Auch wurde in dem Walde Twangste eine Burg errichtet, die, wie die nachher dabei erbaute Stadt, dem König Ottokar zu Ehren den Namen Königsberg erhielt. Als jedoch 1260 der Orden an der Durbe in Livland von den Litauern eine schwere Niederlage erlitten hatte, kam es zu einer offenen und allgemeinen Empörung der P. unter Glande aus Samland, Herkus Monte aus Natangen, Glappo aus Warmien, Auktumo aus Pogesanien, Diwan aus Barten, die zwar oft siegten und Burgen, Kirchen und Städte zerstörten, aber sich gegenüber den immer neuen Kreuzheeren in langem Vernichtungskampf allmählich verbluteten. Ein Führer nach dem andern fiel, zuletzt der tüchtigste und tapferste, Monte (1271). 1275 wurde Nadrauen, 1276 Schalauen, endlich 1283 nach sechsjähriger hartnäckiger Verteidigung der letzte noch freie Preußenstamm, die Sudauer, unterworfen; nur wenige der Überlebenden nahmen das Christentum an, viele wanderten nach Litauen aus. So hatte der Orden nach 53jährigem hartnäckigen und wechselvollen Kampf endlich sein Ziel, die Eroberung und völlige Unterwerfung Preußens, erreicht.

Unter der weisen Regierung vortrefflicher Hochmeister, die seit 1309 in der Marienburg residierten, blühte der Ordensstaat wunderbar auf. Krieg wurde nur noch gegen die heidnischen Litauer geführt, aber gegen diese fast alljährlich. Im Innern herrschten Friede, Recht und Gesetz. Die Einwohner, durch zahlreiche deutsche Einwanderung bald germanisiert, regierten sich in ihren Städten und Gemeinden selbst und zahlten wenig Abgaben, und besonders der Handel gedieh, Mittelpunkt dafür war das seit 1310 im Besitz des Ordens befindliche Danzig. Auch das Ordensgebiet vergrößerte sich: 1310 wurde Pommerellen, 1398 die Insel Gotland erobert, 1346 Esthland von den Dänen, 1402 die Neumark von Brandenburg erworben; es reichte von der Oder bis zur Düna und umfaßte 170,000 qkm (3000 QM.) mit 55 Städten, 20,000 Dörfern, 2000 Edelhöfen, 48 festen Schlössern. Die Glanzzeit des Ordens war die Regierung des Hochmeisters Winrich von Kniprode (1351–1382). Unter ihm wurde der Sieg bei Rudau (17. Febr. 1370) über die litauischen Fürsten Olgert und Keistut erfochten, wobei zwar der tapfere Ordensmarschall Henning Schindekopf mit 26 Komturen und 200 Rittern fiel, aber auch der junge litauische Staat Halt machen mußte. Nicht lange nach Kniprodes Tod erwuchs dem Orden eine große Gefahr durch die Christianisierung der Litauer und die Vereinigung ihres Reiches mit Polen infolge der Vermählung ihres Großfürsten Jagello mit Hedwig von Polen (1386). Der Orden konnte jetzt nicht mehr die Hilfe von Kreuzfahrern in Anspruch nehmen, sondern mußte den Krieg mit Söldnern führen, wodurch das Land mit Steuern belastet wurde; doch der Kampf war jetzt um so nötiger, da die Polen dem Orden das Weichselgebiet zu entreißen trachteten.

Auch im Innern geriet der Ordensstaat in Verfall: Wohlleben trat an die Stelle der alten Sittenstrenge, und unter den Rittern herrschten Parteiungen. Die früher so milde Herrschaft über die Untertanen wurde rücksichtslos und hart. Adel und Städte trugen immer unwilliger das Joch der armen Ritter aus dem Reiche, die den Ordensstaat als ihre Versorgung ansahen, und wollten als Landstände anerkannt sein und Anteil an der Verwaltung haben. Bereits 1397 stiftete der westpreußische Adel den Eidechsenbund zur Wahrung seiner Rechte. So wurde Polen zu immer neuen Angriffen ermutigt, und von seinem Vetter Witold von Litauen unterstützt, fiel Wladislaw Jagello 1410 in Preußen ein. Der Hochmeister Ulrich von Jungingen ward mit seinem großen Heere bei Tannenberg (zwischen Gilgenburg und Hohenstein) 15. Juli 1410 entscheidend geschlagen, namentlich infolge des verräterischen Abfalls der Eidechsenritter. Der Hochmeister, die meisten Komture und 600 Ritter fielen, viele Tausende wurden gefangen, alle übrigen zersprengt, das Lager die Beute der Polen. Alles ergab sich den Polen ohne Widerstand, und die vier Landesbischöfe gelobten ihm Treue. In einem Monat war fast ganz Preußen im Besitz des Polenkönigs, und der Orden schien verloren. Da rettete ihn der[293] tapfere Komtur Heinrich von Plauen, der mit 4000 Mann Pommerellen gedeckt hatte, von dem drohenden Untergang, indem er schnell die Marienburg besetzte und alle Angriffe der Polen zurückschlug. Nach zehnwöchiger Belagerung hob der König die Belagerung der Marienburg auf. Heinrich von Plauen wurde nun Hochmeister (1410–13) und schloß bald darauf (1. Febr. 1411) den ersten Frieden zu Thorn, der das Ordensgebiet nur wenig verkleinerte und dem Orden bloß hohe Geldopfer auferlegte.

Der neue Hochmeister verlangte von den Brüdern Erneuerung der strengen Sittenzucht und wollte dem Adel und den Städten auch landständische Rechte gewähren, indem er 1412 aus 20 Edelleuten und 27 Bürgern einen Landesrat bildete. Hierüber erbittert, setzten die Ritter in einem 1413 nach der Marienburg berufenen Ordenskapitel den Hochmeister ab. Die Zustände im Innern wurden durch Parteiungen der Ritter selbst und die Widerspenstigkeit der Untertanen immer bedenklicher, der Krieg mit Polen begann wieder und zwang den Orden, fortwährend ein kostspieliges Söldnerheer zu unterhalten. Der Steuerdruck wurde daher immer härter, und Adel und Städte schlossen 1440 in Marienwerder zur Verteidigung ihrer Gerechtsame den Preußischen Bund, der weit und breit Anklang fand und sich bald als eine neue Macht über den Orden erhob. Als er 1450 einen Geheimen Rat zur Leitung der Bundesangelegenheiten einsetzte, kam es zum offenen Bruch zwischen ihm und dem Orden. Am 6. Febr. 1454 kündigte er dem Hochmeister durch einen Absagebrief förmlich den Gehorsam, trug dem König Kasimir IV. von Polen die Herrschaft über Preußen an und eröffnete sofort mit Erfolg die Feindseligkeiten. Der König von Polen nahm die Abgefallenen als Untertanen auf und erklärte dem Orden den Krieg. Hans von Baisen, eins der Häupter des Bundes, wurde Statthalter in Preußen; als aber der König selbst nach Preußen kam, huldigte ihm alles, auch die Bischöfe von Kulm, Samland u. Pomesanien.

Nun begann ein 13jähriger Krieg, der »westpreußische Städtekrieg«, gegen den Orden, der sich mit Söldnerscharen tapfer gegen die Polen und den Bund wehrte. Aber Mangel an Geld brachte letztern in neue Verlegenheit, auch ließen der Deutschmeister und der Landmeister in Livland den Orden im Stiche. Daher verpfändete der Hochmeister Ludwig von Erlichshausen seinen Söldnern Marienburg und alle Ordensstädte, Länder und Leute, die der Orden in Preußen und in der Neumark noch besaß, und verkaufte die Neumark an Brandenburg. Aber die Summen gingen bald drauf, und die Söldner verkauften daher 15. Aug. 1456 die von ihnen besetzten Schlösser und Städte dem König von Polen für 436,000 Gulden. Der Hochmeister mußte 1457 das Ordensschloß, wo während 148 Jahren 17 Hochmeister residiert hatten, verlassen und nach Königsberg übersiedeln. Zwar hielt sich der Orden noch mehrere Jahre gegen seine Feinde; aber das Reich leistete ihm keine Hilfe, und so zwang ihn völlige Erschöpfung zu dem zweiten Frieden zu Thorn (19. Okt. 1466), in dem der Orden die westliche Hälfte Preußens, nämlich Kulm, Michelau und Pommerellen mit den Städten Danzig, Thorn, Elbing, Marienburg und den Bistümern Kulm und Ermeland, an Polen abtrat, die östliche Hälfte aber, Samland und Pomesanien, als polnisches Lehen behielt. Auf diese Weise trennte sich das Land in zwei Teile, in das deutsch bleibende Ostpreußen und das polnisch werdende Westpreußen (s. diese Artikel, mit Literatur).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 292-294.
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