Grimmelshausen

[343] Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von, deutscher Romanschriftsteller, geb um 1625 in Gelnhausen von protestantischen Eltern, gest. 17. Aug. 1676 zu Renchen in Baden, war vermutlich durch die Wechselfälle des Krieges früh der elterlichen Fürsorge beraubt, tat in seiner Jugend Kriegsdienste, ergänzte erst spät und unvollständig durch Selbstudium und Reisen die Lücken seiner Jugendbildung und erlangte Mitte der 60er Jahre das Amt eines (bischöflich Straßburgischen) Schultheißen in Renchen; erst hier scheint er zur katholischen Kirche übergetreten zu sein; doch ist er kein Fanatiker seines neuen Glaubens geworden; der Grundzug seines Wesens war friedfertige Versöhnlichkeit. Seine schriftstellerische Tätigkeit eröffnete er 1658 und zwar unter sonderbaren anagrammatischen Umstellungen seines Namens. Samuel Greifenson v. Hirschfeld, Seigneur Meßmahl, Michael Rehulin v. Sehmsdorf, German Schleifheim v. Sulsfort u. a. Sein Hauptwerk ist der Roman »Der abenteuerliche Simplicissimus«, der zuerst 1668 in fünf Büchern (diese Ausgabe ist verloren gegangen), dann 1669 in sechs Büchern und unter dem Pseudonym German Schleifheim v. Sulsfort erschien. Dieses Werk ist der lebensvollste Roman des 17. Jahrh., »die einzige poetische Gestaltung des Dreißigjährigen Krieges«. Im Anschluß an die spanischen Schelmenromane, die sich damals in ganz Europa großer Beliebtheit erfreuten, führt G. seinen Helden durch die verschiedenartigsten Lebensverhältnisse hindurch und entwirft so ein umfassendes satirisches Zeitgemälde. Doch übertrifft er alle frühern Romane der Gattung dadurch, daß er auch schildert, welche innern Wandlungen durch die mannigfaltigen Erlebnisse in dem Helden vorgingen. Die treuen Bilder des großen Krieges sowie der verwilderten deutschen Gesellschaft nach dem Kriege werden durch einen frischen Humor erträglich, daneben finden sich Szenen von reiner dichterischer Schönheit, wie der Aufenthalt des Knaben Simplicius bei dem Einsiedler im Walde, sowie Betrachtungen über die Zeitverhältnisse, die von großem politischen Scharfblick zeugen. Von den neuern Ausgaben des Werkes sind die von A. v. Keller für den[343] Literarischen Verein in Stuttgart besorgte (1854–62, 4 Bde.), die von H. Kurz (in den »Simplicianischen Schriften«, Leipz. 1863–64, 4 Bde., mit literarischen Einleitungen und Anmerkungen), von J. Tittmann (2. Aufl., das. 1877, 2 Bde.), der von Kögel besorgte Neudruck (Halle 1880) sowie der von Bobertag in »Grimmelshausens ausgewählten Werken« (Kürschners »Deutsche Nationalliteratur«, Bd. 33–35) hervorzuheben. Umarbeitungen erschienen von E. v. Bülow (Leipz. 1836, nur die fünf ersten Bücher umfassend), Lauckhard (das. 1876) und E. H. Meyer (Bremen 1876). Nicht so hoch wie der »Simplicissimus« standen Grimmelshausens übrige Erzählungen: »Trutz Simplex oder Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche« (ein weibliches Gegenstück zum Simplicissimus, o. O. u. J., ungefähr 1669), »Der seltzame Springinsfeld« (1670) und »Das wunderbarliche Vogelnest« (o. O. 1672; alle drei neu hrsg. von Kurz in den »Simplicianischen Schriften« [s. oben] und von Tittmann in den »Simplicianischen Schriften«, Leipz. 1877, 2 Bde.). Ihnen reihen sich verschiedene Schriften satirischen Charakters an, wie: »Schwarz und Weiß oder der Satyrische Pilgram« (1666), »Der teutsche Michel« (1673; Neudruck von Khull in den »Wissenschaftlichen Beiheften zur Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins«, Heft 7, Berl. 1894), »Das Ratstübel Plutonis« (1672), »Die verkehrte Welt« (1673) u. a. Neben diesen der volkstümlichen Richtung angehörigen Werken versuchte sich G. auch im breit-redseligen und galanten Kunstroman seiner Zeit; »Des vortrefflich keuschen Josephs in Ägypten erbauliche Lebensbeschreibung« (Nürnb. 1670), »Dietwalds und Amelinden anmutige Liebs- und Leidsbeschreibung« (das. 1670) und »Des durchleuchtigen Prinzen Proximi und seiner ohnvergleichlichen Lympidä Liebsgeschichterzählung« (das. 1672) sind charakteristische Proben der aufgebauschten und leblosen Erzählungskunst jener Tage. Eine Gesamtausgabe der Schriften Grimmelshausens erschien Nürnberg 1683–1713 in 3 Teilen. 1879 wurde ihm zu Renchen ein Denkmal in Form eines Obelisken aus blaurotem Sandstein errichtet. Vgl. Erich Schmidt, Charakteristiken (Berl. 1886); F. Antoine, Étude sur le Simplicissimus de G. (Par. 1882); Amersbach, Aberglaube, Sage und Märchen bei G. (Baden 1891–93, 2 Hefte); F. Neumann, Über den »Abenteuerlichen Simplicissimus« und die Simplicianischen Schriften (Pilsen 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 343-344.
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