Haberfeldtreiben

[585] Haberfeldtreiben heißt eine Art Volksjustiz, die in Oberbayern, namentlich in der Gegend von Tegernsee, Miesbach und Rosenheim, bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts häufig an solchen Personen ausgeübt wurde, deren Vergehen und Laster dem Arm der Rechtspflege unerreichbar sind. Der Name H. soll daher rühren, daß Feldmarkfrevler und Wucherer ehemals mit Verheerung ihrer Felder bestraft, oder daher, daß gefallene Mädchen früher von den Burschen des Dorfes unter Geißelhieben durch ein Haberfeld getrieben worden seien. Andre wollen darin Reste der einst von Karl d. Gr. in den Grafschaften eingesetzten Rügengerichte sehen, und wieder andre geben endlich an, der Gebrauch sei zuerst in der dem Kloster Scheyern gehörigen Hofmark Fischbachau aufgekommen als wirksamer Schutz gegen die mehr und mehr einreißende Unsittlichkeit. Sicher ist, daß das H. besonders seit dem Dreißigjährigen Krieg in Aufnahme gekommen ist. Zuletzt war der Bezirk, in dem es vorkam, ein scharf abgegrenzter, nämlich das Land zwischen der Mangfall, der Isar und dem Inn. Es ruht aber über dem Wesen der dazu bestehenden Verbindung ein noch unenthülltes Geheimnis. Es soll im Gebirge zwölf Haberfeldmeister gegeben haben, von denen aber jeder nur die in seinem Bezirk ansässigen Mitglieder (Haberer) des Bundes kennt, die er von einem beschlossenen Trieb insgeheim in Kenntnis setzt. Anwendung fand diese Volksjustiz in den mannigfaltigsten Fällen, namentlich bei Geiz, Wucher, Betrug, sowie überhaupt bei jeder Niederträchtigkeit, die vor dem Gesetz straflos ist, und dabei wurden die Reichen und Angesehenen und das Laster im Kirchenrock mit Vorliebe als Opfer ausersehen. Das Verfahren war im wesentlichen folgendes: Wenn das mißliebige Individuum trotz wiederholter mündlicher oder brieflicher Verwarnungen keine Besserung gezeigt hatte, sammelten sich plötzlich in einer recht dunkeln Nacht um das Gehöft des Missetäters hundert vermummte, geschwärzte und selbst bewaffnete Personen, umschlossen das Haus u. riefen den Schuldigen aus Fenster oder unter die Tür, die er aber bei Leibes- und Lebensstrafe nicht überschreiten durfte. Darauf wurden im »Namen Kaiser Karls d. Gr. im Untersberg« die Treiber verlesen, und zwar unter fingierten Namen und Würden, wie: Herr Landrichter von Tegernsee, Herr Pfarrer von Gmund etc., die mit einem lauten »Hier« antworteten. Fehlte ein einziger der Verlesenen, so ging der Hause unverrichteter Sache wieder auseinander. Waren aber alle zugegen, so trat einer der Meister in die Mitte des Vierecks und verlas ein in Knittelreimen abgefaßtes Register der Sünden des Delinquenten, wobei nach jeder Strophe die ganze Schar ein von der schrecklichsten Katzenmusik begleitetes Geheul und Gelächter anstimmte. War die Vorlesung zu Ende, so erloschen die Laternen, und die Schar verschwand auf einen Pfiff des Anführers ebenso schnell wieder, wie sie erschienen war. Gewöhnlich sollen die Haberfeldtreiber aus einer dem Ort ihrer Tätigkeit entferntern Gegend gewählt worden sein, um etwaigen Erkennungen vorzubeugen. Dem Schuldigen ward, außer daß er die Vorlesung mit anhören mußte, kein weiteres Leid angetan. Die Ausschreitungen, die das H. schließlich im Gefolg hatte, wie scharfes Schießen auf das Haus dessen, dem getrieben wurde, tätliche Vergreifung an ihm, Treiben gegen völlig Unschuldige, veranlaßte die bayrische Regierung zu energischem Vorgehen, das mit der Ermittelung und Ergreifung einer Reihe von Haberern endete, die zu schweren Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Seit diesen Habererprozessen des Jahres 1896 und 1897 ist das H. soviel wie unterdrückt. Vgl. Panizza, Das H. im bayrischen Gebirge (Berl. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 585.
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