Lex Heinze

[494] Lex Heinze heißt die auf Anregung des Kaisers aus Anlaß der Berliner Gerichtsverhandlung gegen den Zuhälter Heinze und dessen der Prostitution ergebenen Ehefrau entstandene Novelle vom 25. Juni 1900 zum deutschen Strafgesetzbuch, welche die Strafvorschriften über Sittlichkeitsverbrechen (s. d.), insbes. Kuppelei (s. d.) und Zuhältertum (s. d.), erweitert und ergänzt. Der erste Entwurf vom 29. Febr. 1892 kam im Reichstag nicht einmal zur ersten Lesung. Im Winter 1892/93 ging der Entwurf dem Reichstag in gleicher Gestalt wieder zu. Er wurde von einer Kommission eingehend beraten. Mit 15 gegen 6 Stimmen lehnte sie den Teil des Entwurfs ab, der die Prostitution kasernieren, also die Wiederzulassung öffentlicher Häuser ermöglichen sollte. Dagegen fügte sie außer andern Zusätzen und Verschärfungen den sogen. Arbeitgeberparagraphen ein, der die Arbeitgeber oder Dienstherren mit Strafe bedrohte, die unter Mißbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ihre Arbeiterinnen zur Duldung oder Verübung unsittlicher Handlungen bestimmen, ferner einen Paragraphen, der Ansteckung durch Geschlechtskrankheit mit Strafe bedroht. Indes kam der Entwurf über die Kommissionsberatung nicht hinaus. In den folgenden Sitzungsperioden brachte das Zentrum den Kommissionsentwurf als eignen Antrag ein. In der Session 1899/1900 kam auch die Regierung wieder mit einem neuen Entwurf vor den Reichstag. Eine Kommission verband ihn mit dem Zentrumsantrag. Über die auf Kuppelei und Zuhältertum bezüglichen Bestimmungen herrschte Einverständnis. Die Regierung erklärte aber den Arbeitgeberparagraphen für unannehmbar, da er zu unbegründeten Strafanträgen seitens eines eifer- und rachsüchtigen Personals führen könnte, ebenso für unannehmbar, daß die Altersgrenze für die strafbare Verführung eines unbescholtenen Mädchens von 16 auf 18 Jahre hinausgesetzt werde. Anderseits wurde der Antrag der Regierung abgelehnt, wonach die Vorschriften über Kuppelei und Zuhältertum keine Anwendung finden sollen auf die Vermietung von Wohnungen an Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, sofern damit nicht eine Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes der Mieterin verbunden ist. Ende Februar 1900 erhob sich eine lebhafte öffentliche Bewegung gegen die sogen. Kunst- und den Theaterparagraphen, auf die sich Regierung und Reichstagskommission geeinigt hatten. Der eine Paragraph verbietet, Schriften und Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, zu geschäftlichen Zwecken in Ärgernis erregender Weise öffentlich (z. B. in Schaufenstern) auszustellen oder anzuschlagen. Der andre Paragraph wendet sich gegen öffentliche Aufführungen, die durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Ärgernis zu erregen geeignet sind. Die Agitation, an deren Spitze sich der Goethe-Bund (s. d.) stellte, hatte Erfolg. Die aus Zentrum und Konservativen gebildete Reichstagsmajorität verzichtete auf beide Paragraphen. Als Rest blieb nur eine Bestimmung, die unter Strafe verbietet, Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, die, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt zu überlassen oder anzubieten (Strafgesetzbuch, § 184 a). In einem neuen Paragraphen, dem sogen. Gerichtsberichtparagraphen (§ 184 b), wird bei Strafe verboten, aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, öffentliche Mitteilungen zu machen, die geignet sind, Ärgernis zu erregen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 494.
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