Lieber

[528] Lieber, 1) Franz, staatswissenschaftlicher Schriftsteller, geb. 18. März 1800 in Berlin, gest. 2. Okt. 1872, nahm als freiwilliger Jäger am Feldzuge von 1815 teil und ward bei Namur verwundet, widmete sich dann in Berlin dem Studium der Medizin, ward aber 1819 als Demagog polizeilich verfolgt und ihm der fernere Besuch einer preußischen Universität untersagt. Im Herbst 1821 begab er sich nach Marseille und schiffte sich dort als Philhellene nach Griechenland ein, begab sich jedoch nach mehreren Monaten großer Entbehrung von Missolunghi nach Rom, wo er im Hause Niebuhrs freundliche Aufnahme fand und sein »Tagebuch meines Aufenthalts in Griechenland im Jahr 1822« (Leipz. 1823) schrieb. Mit Niebuhr nach Deutschland zurückgekehrt, ward er 1824 in Köpenick gefangen gesetzt und erst nach mehreren Monaten auf Niebuhrs Verwenden wieder freigegeben. L. lebte nun eine Zeitlang teils in Berlin, wo er seine im Gefängnis gedichteten »Wein- und Wonnelieder« unter dem Namen Arnold Franz (Berl. 1825) herausgab, teils in der Familie des Grafen von Bernstorff in Mecklenburg. Später ging er, aufs neue verfolgt, nach London und von da 1827 nach den Vereinigten Staaten, wo er in Boston eine Turnanstalt und eine Schwimm schule nach Pfuels Grundsätzen einrichtete und in Verbindung mit einigen andern die »Encyclopaedia Americana« (Philad. 1829–33, 13 Bde.) herausgab. 1835 erhielt er die Professur der Geschichte und Staatsphilosophie zu Columbia in Südcarolina, 1858[528] eine Professur am Columbia College in New York. Beim Ausbruch des Bürgerkriegs legte er sein Amt nieder. Noch sind von seinen Schriften zu erwähnen: »Letters to a gentleman in Germany« (Philad. 1834); »Reminiscences of an intercourse with Niebuhr the historian« (1835; deutsch von Thibaut, Heidelb. 1837); »Essay on subjects of penal law« (Philad. 1838); »Manual of political ethics« (Bost. 1838–39, 2 Bde.; neue Ausg., Philad. 1875, 2 Bde.); »Essays on property and labour« (New York 1842); »On civil liberty and selfgovernment« (Philad. 1853, 2 Bde.; neue Ausg. 1874; deutsch von Mittermaier, Heidelb. 1860). Nach seinem Tod erschienen von ihm: »Miscellaneous writings« (Philad. 1881, 2 Bde., mit Biographie von Thayer). Vgl. Th. S. Perry, Life and letters of Francis L. (Bost. 1882; deutsch bearbeitet von Holtzendorff, Stuttg. 1885); L. Harley, Francis L., his life and political philosophy (New York 1899). – Sein Sohn Oskar Montgomery L., geb. 1830 in Boston, gest. 27. Juni 1862 in Richmond, studierte in Freiberg den Bergbau und hat sich in Amerika als Geolog einen Namen erworben.

2) Ernst Maria, deutscher Politiker, geb. 16. Nov. 1838 zu Kamberg in Nassau, gest. 31. März 1902 ebenda, Sohn des durch seine publizistische Tätigkeit bekannten katholischen Politikers Moriz L. (geb. 1790, gest. 29. Dez. 1860), studierte 1858–61 in Würzburg, München, Bonn und Heidelberg Philosophie und Rechtswissenschaft, erwarb sich den juristischen Doktorgrad und lebte als Privatmann in Kamberg. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1871 des Reichstags, schloß er sich der Zentrumspartei an und gehörte zum demokratischen Flügel der Ultramontanen, an dessen Spitze er 1893 die gemäßigten Mitglieder aus Schlesien aus dem Zentrum verdrängte, übernahm nach Windthorsts Tode die Leitung der Zentrumspartei und verstand es, sie im Reiche zum ausschlaggebenden Faktor der Politik zu machen. Er hatte enge Verbindung mit den Regierungskreisen; 1901 wurde er zum päpstlichen Kämmerer di cappa e spada ernannt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 528-529.
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