Tierwohnungen

[547] Tierwohnungen (hierzu die Tafeln »Tierwohnungen I u. II«). Gleich den Vögeln erbauen sehr viele Säugetiere, auch Fische und andre Wassertiere, namentlich aber viele Insekten, Spinnen und Krebstiere, Unterkunftsräume, die oft sehr kunstvoll und zweckentsprechend sind. Man kann sie nach der Anlage in freie und Höhlenbauten, nach dem Zweck in Obdach- und Schlafräume, Brutkammern, Vorratsspeicher und Gesellschaftswohnungen, Fanghöhlen und Schutzfutterale einteilen. Die Nester der menschenähnlichen Affen (Tafel I, Fig. 2; Nest des Orang-Utan) in den Baumwipfeln sind aus verfestigten Zweigen und dürrem Laube in solchem Umfang hergestellt, daß die Tiere darauf, vor dem Wetter geschützt, ausgestreckt ruhen können. Die Winterschläfer (Tafel I, Fig. 1; Nest des Eichhörnchens) legen sich wohlverstopfte Schlafräume in Astgabeln, hohlen Bäumen und unter der Erde an. Sehr kunstreich sind die Holzdämme und Bauten der Biber (Tafel I, Fig. u), zu denen sie die Äste an den Enden durch Nagen so geschickt zuspitzen, daß solche Pfähle gelegentlich für Kunsterzeugnisse des vorgeschichtlichen Menschen gehalten worden sind. Die Nester[547] der Zwergmäuse (Tafel I. Fig. 4), Haselmäuse (Tafel I, Fig. 5 a u. b) und ihrer Verwandten im Schilf, Dickicht und Gesträuch etc. gleichen Vogelnestern. Die unterirdischen Bauten der Wasserratten, Fischottern, Maulwürfe (Tafel I, Fig. 6), Dachse (Tafel I, Fig. 7) u. a. besitzen meist mehrere Zugänge und außerdem oft noch einen Luftschacht. Das Nest des Maulwurfs gleicht einer kleinen Festung, mit zwei Galerien, Steig- und Fallröhren, Jagd- und Notausgängen; der eigentliche Wohnraum ist geräumiger und liegt unterhalb des in der Figur allein sichtbaren Röhrenbaues. Die Kaninchen legen weitverzweigte Röhren (Tafel I, Fig. 8) an, in denen sie bei drohender Gefahr scharenweise verschwinden. Beim Hamsterbau sind außer dem eigentlichen kugelförmigen Wohnungshohlraum meist mehrere Speicher angelegt, und die Wohnung hat drei Zugänge, ein senkrechtes Fallrohr, einen horizontalen Eingang und einen gewundenen Notausgang. Auch manche Landkrabben der Tropen wühlen im Boden in der Nähe des Strandes, indem sie unter dem Wurzelwerk der Strandbäume tiefe Röhren anlegen (Tafel II, Fig. 3: Nest der Landkrabbe Pachylomerus nidulans), die der Kokosdieb (Birgus latro) mit den Fasern der verzehrten Kokosnüsse auspolstern soll. Die Minierspinnen (Tafel II, Fig. 5) legen mit Gespinst austapezierte Erdröhren an, die mit beweglichen Falltürdeckeln verschlossen sind und teilweise als Fallgruben dienen. Die Larven der Sandkäfer (Cicindela, Tafel II, Fig. 11) lauern ebenfalls in Erdröhren auf Beute, und die der Ameisenlöwen (Tafel II, Fig. 10) formen im losen Sande Trichter, aus deren Grunde sie Sandkörnchen auf sich nahende Insekten schleudern, um sie auf der schiefen Ebene zum Herabfallen zu bringen. Die Psyche- oder Sackträgerraupen (Tafel II, Fig. 4 u. 9) leben in Gehäusen, die sie aus Blättern, Halmen, Zweigspitzen etc. fertigen, und die ihnen zum Schutz und Verbergen (s. Maskieren) dienen; noch vielseitiger in der Verwendung von Baumaterial sind die im Wasser lebenden Larven der Köcherjungfern oder Phryganiden (Tafel II, Fig. 19), die aus Holzstücken, Sandkörnern, Schneckenschalen und andern Stoffen ihre vielgestaltigen tragbaren Häuser erbauen. Die zu den Rüsselkäfern (Rhynchites-Arten) gehörigen Trichterwickler oder Blattroller (Tafel II, Fig. 8) erlangen in der Kunst, die Blätter für ihr Nest zurecht zu schneiden, eine große Fertigkeit. Besonders kunstvolle Bauten für ihre Brut errichten die Hautflügler und verwenden dabei die verschiedensten Baustoffe, wie z. B. die Bienen Wachs, die Maurer- und Töpferwespen Lehm und Erde, die Papierwespen u. a. zerkautes Holz und sonstige Pflanzenteile, die sie mit chitinhaltigem Speichel zu elastischen, pergamentartigen Membranen verarbeiten. Man unterscheidet dabei die Nester einzeln lebender Wespen (Solitaria), wie die der Töpferwespe (Trypoxylon aurifrons, Tafel II, Fig. 2), und die Gesellschaftsbauten der geselligen Vespidae. In ihren Bauplänen herrscht die größte Mannigfaltigkeit. Bald werden die Nester frei und die Zellen nur in einer Reihe angelegt, wie bei Icaria variegata (Tafel II, Fig. 1), bald von einer gemeinsamen Hülle umschlossen, wie bei der gemeinen Wespe (Vespa media, Tafel II, Fig. 6), und dann die Zellen meist in mehreren Stockwerken mit dazwischenlaufenden Gängen angeordnet, auch solche Staatennester werden bald frei an die Baumäste gehängt, bald in Höhlungen eingebaut, wie bei den Hornissen (Tafel II, Fig. 7). Während die Zellen hier nur nach einer Seite der Wabe gerichtet sind, trägt diese unter besserer Platzausnutzung bei den Bienen die Zellen nach beiden Seiten (s. Tafel »Bienen«, Fig. 2). Unter den Ameisen gibt es ebenfalls sehr kunstvolle Baukünstler, die unterirdische Wohnungen mit vielen Galerien und Vorratsräumen, Hochbauten, wie Tapinoma (Tafel II, Fig. 12), und Nester in Baumwipfeln anlegen; einige Arten von Formica und Lachnus ummauern sogar Blattlauskolonien, die sie an Pflanzenstengeln und Baumzweigen finden, mit rings geschlossenen Hürden (sogen. Blattlausställen, Tafel II, Fig. 13). Die Termiten (Tafel II, Fig. 14) errichten noch umfangreichere, oft mehrere Meter hohe Bauten von großer Wandfestigkeit, indem sie Ton, Sand und organische Substanzen mit ihrem Speichel und Kot durchkneten und daraus wie Burgen, Türme, Grabmäler oder Riesenpilze aufragende Bauten ausführen; auch von ihnen legen einige Arten Baumnester an. Unter den Wassertieren fehlt es ebenfalls (außer den schon erwähnten Phryganidenlarven) nicht an Baukünstlern. Mehrere Fische, wie die Grundeln und Stichlinge, bauen Nester aus Seekräutern (Tafel II, Fig. 16), in denen zum Teil die Männchen bei der jungen Brut Wache halten; die Feilenmuschel (Lima hians, Tafel II, Fig. 17) bekleidet sich mit einem Nest aus Steinen, Muschelfragmenten etc., die sie mit einem Geflecht von Byssusfäden um sich verkettet, die Röhrenwürmer (Serpuliden, Tafel II, Fig. 15) bewohnen kalkige oder lederartige Röhren, die meist auf einer Unterlage befestigt sind, und in die sie sich völlig zurückziehen können. Sehr eigenartig ist die Taucherglocke der Wasserspinne (Argyroneta aquatica, Tafel II, Fig. 18), ein aus seinem Gespinst gefertigtes Domgewölbe, das sie mit von der Oberfläche herabgeholter Luft füllt. Vgl. die Artikel »Ameisen, Hautflügler, Nester und Tierpsychologie« und außer den dort angeführten einschlägigen Schriften: Adolf und Karl Müller, Wohnungen, Leben und Eigentümlichkeiten in der Tierwelt (Leipz. 1869).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 547-548.
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