Nest [1]

[532] Nest (hierzu Tafel »Nester I und II«), die von Tieren zum Schutz für die unerwachsene Nachkommenschaft hergerichtete Wohnstätte. Von den Wirbeltieren bauen einige Fische, wie der Stichling, und einige Säugetiere, wie das Eichhörnchen, Nester, ganz allgemein aber tun es die Vögel. Bei weitem die meisten Vögel bauen einsam, bisweilen aber vereinigen sich Scharen derselben Art, verschiedener Arten, Gattungen oder Familien von gemeinsamer Lebensweise, wie die Schwimmvögel, zu großen Siedelungen, während solche Siedelungen von Landvögeln immer nur eine Art beherbergen (Reiher, Krähen, Wandertauben, Webervögel; Tafel II, Fig. 3). Man unterscheidet Miniervögel, die in Höhlen, Uferwänden, festem Lehm etc. Löcher für ihr N. graben, wie die Uferschwalbe,[532] der Eisvogel, Pinguin, Bienenfresser u.a.; Erdnister, die meist ein sehr einfaches N. aus kunstlos übereinander gelegten Baumaterialien auf der Erde bauen, wie die Schwäne, Enten, Gänse, Hühner, Kasuare, Strauße, Möwen, Wasserhühner etc. Das Wasserhuhn baut ein schwimmendes N. (Tafel I, Fig. 6). Die Maurer bauen ihr N. aus naß zusammengekneteter Erde, wie die meisten Tagschwalben, der Blauspecht, der den Eingang von Baumhöhlen bis auf eine kleine Öffnung mit Schlamm verklebt, Elster, Singdrossel u.a. Der Töpfervogel (Tafel II, Fig. 5) baut sein halbkugeliges, backofenähnliches N. nur aus Erde und innen mit einer Scheidewand. Zimmerer, die Höhlen in Bäume meißeln, sind die Spechte, Wendehals, Blau- und Sumpfmeise. Flache Nester, fast ohne Vertiefung, bauen Ringel- und Turteltauben, Reiher, Störche, Kraniche und die Adler, deren Horste (Tafel II, Fig. 2) frei auf Felsen, aber auch auf Bäumen stehen. Korbflechter bauen ihr N. sehr lose und unvollkommen aus dünnen, trocknen Reisern, Vinsen, Pflanzenstengeln, wie die Holzhäher, die Rabenvögel, viele Drosseln, Kernbeißer, Dompfaff, Rohrsänger, Gartensänger (Tafel II, Fig. 4), Rohrammer etc., Webervögel benutzen fadenförmiges Material, Binsen, Bast, Grasblätter, Haare, Schafwolle etc., und fertigen daraus ein N., dessen Wandung mehr oder weniger einem Gewebe ähnlich sieht. Graukehlchen, weiße Bachstelze, Rotkehlchen, Rotschwänzchen, Goldhähnchen (Tafel I, Fig. 4), Goldammer, Grünfink, Hänfling füttern ihr N. mit eingewebten Haaren, Federn, Wolle aus. Schwanzmeise und Beutelmeise (Tafel I, Fig. 3, und Tafel II, Fig. 1) bauen ein beutel- oder eiförmiges, nur mit einem kleinen Flugloch versehenes N., zierlich zusammengewebt aus den genannten Materialien und ausgekleidet mit Federn, Wolle und Haaren. Zu den geschicktesten Baumeistern gehören die Webervögel und die Beutelstare (Schapu; Tafel I, Fig. 1). Schneidervögel nähen mit Hilfe ihres Schnabels, den sie wie eine Nadel benutzen, ihr N. aus Blättern zusammen (Tafel II, Fig. 7). Filzmacher verfilzen faseriges Material zu einer gleichmäßigen Wandung, wie der Buchfink, Stieglitz, manche Kolibris etc. Die Zementierer sondern aus bestimmten Drüsen einen klebrigen Stoff ab, der, mit Speichel vermischt, entweder zusammen mit andern Stoffen, oder allein, wie bei der Salangane (Tafel II, Fig. 6), zum Nestbau benutzt wird. Die Dombauer bauen bedeckte, seitlich mit einem Flugloch versehene Nester, vorzüglich aus Moosen, wie der Zaunkönig, der Fitis, Rotschwänzchen, Goldhähnchen, Wasserstar, Schwanzmeise, Schattenvogel (Tafel I, Fig. 2). Endlich sind noch die Vergnügungsnester zu erwähnen, große laubenartige Gewölbe mit bunten Federn, Knochen, Muscheln geschmückt, die nicht zum Brüten, sondern nur zur vergnüglichen Zusammenkunft der Vögel dienen (Tafel I, Fig. 5). – Nester nennt man auch die Behausungen der Ameisen und Termiten, die in der Erde gegraben oder über der Erde aus besonderm Baumaterial errichtet werden, sowie die aus einer papierähnlichen (hauptsächlich durch Kauen von Holzspänen hergerichteten) Nester der Wespen, wohl auch die Bienenstöcke mit ihren Wachswaben. Fernerhin die selbstgesponnene gemeinsame Wohnung mancher Raupen sowie Behausungen für Eier und Junge, auch wenn die Alten sich nie darin aufhalten. Derartige Nester verfertigen Spinnen, einige Tausendfüßer und Insekten. Die wissenschaftliche Nesterkunde heißt Kaliologie. Vgl. Rennie, Baukunst der Vögel (deutsch, Stuttg. 1848); Ad. und K. Müller, Wohnungen, Leben und Eigentümlichkeiten der Tierwelt (Leipz. 1869); Wolf-Harnier, Gefiederte Baukünstler (Berl. 1896); Blanchon, Demeures aériennes des animaux. Le nid (Par. 1905), und Literatur beim Artikel »Eierkunde«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 532-533.
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