Wilna [2]

[656] Wilna, Hauptstadt des gleichnamigen russ. Gouvernements (s. oben), am Einfluß der Wileika in die Wilija, Knotenpunkt der Eisenbahnen St. Petersburg-Warschau, W.-Eydtkuhnen und W.-Rowno, hat zwei große Vorstädte (Antokol und Rudaischka), enge und unregelmäßige Straßen, 18 Plätze, 35 kath. Kirchen (darunter die 1387 erbaute St. Stanislauskathedrale mit dem Grabe des heil. Kasimir, die große Johanniskirche und die prächtige Peter-Paulskirche), 3 griechisch-orthodoxe, 2 prot. Kirchen, 2 Synagogen, eine Moschee, mehrere katholische und 2 russische Klöster, Reste eines alten Schlosses, ein kaiserliches Palais, das Oginskische Palais (Sitz der Gouvernementsbehörden), Denkmäler des Grafen Murawjew und des Dichters Puschkin, 2 Theater und (1900) 162,633 Einw. (darunter viele Juden). Unter den zahlreichen Unterrichtsanstalten sind zu nennen: 2 klassische Gymnasien, ein Progymnasium, eine Realschule, 2 Lehrerinstitute (ein hebräisches), 2 Mädchengymnasien, ein Priesterseminar. Im ganzen gibt es 227 Unterrichtsanstalten, darunter 182 jüdische. Die 1576 gestiftete und vom Kaiser Alexander I. erneuerte Universität wurde nach dem polnischen Aufstande 1832 aufgehoben. W. besitzt ein Museum für Altertümer, eine Bibliothek (200,000 Bände, 20,000 Handschriften), einen Botanischen Garten, eine Abteilung der kaiserlichen geographischen Gesellschaft, eine archäologische Kommission sowie 19 Zeitungen, darunter 5 große Tageszeitungen. Dem Handel (besonders in Getreide und Holz) dienen 7 Kreditinstitute und 8 Jahrmärkte. Die Industrie ist namentlich durch Lederfabriken, Sägewerke und Brauereien vertreten. W. ist der Sitz des Generalgouverneurs von Wilna, Grodno und Kowno, des Kommandos des Wilnaer Militärbezirks und des 3. Armeekorps, eines Appellhofs, eines griechisch-orthodoxen Erzbischofs, eines katholischen Bischofs, eines lutherischen Konsistoriums und eines Lehrbezirks. – W. (deutsch früher Zur Wilda oder Wildau genannt) war in heidnischer Zeit ein heiliger Ort und 1322–1795 Hauptstadt von Litauen. 1387 ließ Jagello hier an der Stelle des heidnischen Haupttempels die Kathedrale errichten. 1576–1832 hatte W. eine Universität. 1795 kam es mit ganz Litauen an Rußland. Beim Beginn des Krieges von 1812 besetzte Napoleon I. die Stadt und organisierte von hier aus den litauischen Aufstand. Im Juni 1831 fanden hier zwei Treffen zwischen Russen und Polen statt. Während der polnischen Insurrektion 1863/64 leitete Murawjew von W. aus mit großer Strenge ihre Unterdrückung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 656.
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