Grodno [1]

[352] Grodno, ein Gouvernement Westrußlands (s. Karte bei Art. »Polen«), grenzt im N. an das Gouv. Wilna, im O. an Minsk, im S. an Wolhynien, im W. und NW. an Polen und umfaßt 38,669 qkm (702 QM.). Das Land bildet eine wald- und sumpfreiche Ebene, die im N. und NO. hügelig und von zahlreichen Wasserläufen durchzogen ist. Die hauptsächlichsten Flüsse sind: Jassolda, Pina, westlicher Bug, Narew, Niemen. Der Boden besteht aus sandiger Tonerde, vielfach aus reinem Sand, nur selten aus Schwarzerde. Vom Gesamtareal entfallen 39,6 Proz. auf Acker, 26,3 Proz. auf Wald, 20,3 Proz. auf Wiesen und Weiden, 13,8 Proz. auf Ödland. Gebaut werden hauptsächlich Kartoffeln, Roggen, Hafer, auch Weizen und etwas Tabak. Weintrauben, Pfirsiche und Aprikosen reisen nur am Spalier an geschützten Stellen. Die Wälder, vorzugsweise aus Nadelholz bestehend, sind sehr beträchtlich; die größten sind die 97,000 Hektar große Bialowiesher Heide (s. d.) und der 106,000 Hektar große Grodnoer Wald. Der größte See ist der Sporowskoje, durch den die Jassolda fließt. Das Klima ist gemäßigt; die mittlere Temperatur beträgt 7°, die des kältesten Monats (Januar) -5,2°, die des wärmsten (Juli) 18,2°, der jährliche Niederschlag 55 cm; Hagel ist häufig. Die Bevölkerung (1897: 1,617,859 Einw., 42 auf 1 qkm) besteht vorwiegend aus Weißrussen, daneben aus Litauern; die Polen betragen etwa 20 Proz., die Juden 19 Proz. der Gesamtzahl. Auch gibt es Deutsche und Tataren. Der Viehstand betrug 1891: 176,245 Pferde, 484,107 Stück Hornvieh, 685,213 Schafe (davon 93,522 Merinos), 320,701 Schweine, 3642 Ziegen, 28 Esel, im ganzen 1,669,956 Stück. An Wild kommen am häufigsten vor: Rehe, Füchse, Wölfe, Hafen (darunter der bläulich gefärbte Sumpfhase), wilde Schweine, Eichhörnchen, Dachse, seltener Luchse, Marder, Hamster, Iltisse, Sumpf- und Fischottern, Damwild, Elentiere und Siebenschläfer. Auch wilde Enten, Schnepfen und Feldhühner sind stark vertreten. Die Industrie ist durch etwa 3000 Betriebe mit über 14,000 Arbeitern und einem Produktionswert von 15,1 Mill. Mk. vertreten. In der Wollindustrie nimmt G. nach Moskau den ersten Platz ein; sie konzentriert sich hauptsächlich um Bialystok (s. d.), wo Deutsche mehrere Kolonien und Fabrikflecken, wie Suprasl, Choroszez, Michailowa, Dobrshinewa, Zechanowez u. a., gegründet haben. Entwickelt sind auch die Tabakindustrie und die Branntweinbrennerei. Der nicht unbedeutende Handel mit Holz, Getreide, Leinsamen, Hanf, Wolle etc., hauptsächlich auf dem Niemen und Bug nach Preußen, ist vollständig in den Händen der Juden, ebenso der Kleinhandel in den Städten. Von den vielen Jahrmärkten sind erwähnenswert: die Pferdemärkte zu Zechanowez und Selva. Das Gouvernement ist eingeteilt in die neun Kreise Bialystok, Bjelsk, Brest, G., Kobrin, Prushany, Slonim, Sokolsk und Wolkowysk. – Bis 1795 gehörte G. zu Polen (Schwarzrußland), kam dann an Rußland, wurde 1796 mit Wilna zu einer russischen Provinz und 1802 zu einem besondern Gouvernement erhoben.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 352.
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