Lymphatisches System

[647] Lymphatisches System (Systema lymphaticum, Plexus vasorum lymphaticorum), eigenthümlich organischer Apparat des menschlichen u. thierischen Körpers, bestimmt, Flüssigkeiten innerhalb u. außerhalb des Körpers in sich aufzunehmen, sie umzuwandeln u. so dem venösen Gefäßsysteme in der Nähe des Herzens zuzuführen. Wesentlich wird es aus einer eigenen Gattung von Gefäßen, Lymphgefäßen (Lymphatischen Gefäßen), gebildet, welche wie die Venen mit kleinen u. dünnen Ästen anheben, die in größere, sowie diese endlich in Stämme zusammenfließen, aus dünnen Häuten gebildet, Klappen haben, einen unbeständigen Verlauf nehmen, höchst zertheilt sind, in oberflächliche u. tiefe zerfallen, häufig Geflechte u. Anastomosen bilden, dagegen ihnen an Größe weit nachstehen, so daß sie meist nur durch Kunstmittel darstellbar sind, auch kein Blut führen, mit Arterien außer näherer Verbindung u. mit einer eigenen Art Drüsen (Lymphdrüsen, Lymphatische Drüsen, Lymphaticae glandulae, s.u. Drüsen) durchwebt sind, indem sie, sich zertheilend, durch diese hindurch gehen. Die Aufnahme der Stoffe, welche die Lymphgefäße führen, geschieht durch die feinsten Endigungen der kleinsten Zweige, welche selbst sich aber. der. unmittelbaren Wahrnehmung entziehen. Die Einsaugung wird daher zunächst durch sie bewirkt,[647] obgleich auch den Venen die Einsaugungsfähigkeit nicht durchaus abzusprechen ist. Diese Einsaugung erfolgt nun theils u. hauptsächlich auf der von der äußeren Haut in inneren Körperräumen sich fortsetzenden Fläche aus, hier bes. in dem Magen u. dem Darmkanale. Da es zunächst Chylus ist, welchen die Lymphgefäße hier einsaugen, so erhalten diese auch den besonderen Namen Chylusgefäße. Sie sind auch die ansehnlichsten u. stellen sich, wenn sie mit Chylus erfüllt sind, sowie ihr Hauptstamm, der Brustgang (s.d.), ohne Kunstmittel dar. Dieser Stamm ist aber zugleich der Hauptstamm des ganzen Systems, in den, mit Ausnahme der Lymphgefäße der oberen rechten Körperhälfte, der rechten Hälfte der Leber u. des Zwerchfells, welche sich in einen, jenem zur rechten Seite liegenden, aber sehr kurzen Hauptstamm öffnen, alle übrigen Lymphgefäße, ehe er selbst sich in das Venensystem einsenkt, sich ergießen. Diese Gefäße sind nun theils oberflächliche, unmittelbar unter der äußeren Hautbeckung liegende, welche auch von der äußeren Hautfläche aus Flüssigkeiten (mit ihnen aber auch wohl schädliche, wie Ansteckungsstoffe) einsaugen, theils tiefe; letztere saugen aus allen inneren Körperräumen, also auch den Zwischenräumen des Zellgewebes ein, hier auch wohl feste Körpertheile, wenn diese vorher nach u. nach flüssig geworden sind. Die oberflächlichen Lymphgefäße der Extremitäten nehmen an der Beugeseite derselben ihren Verlauf; die der oberen Extremitäten gehen durch die Achseldrüsen, die der unteren durch die Leistendrüsen hindurch; die tieferen verlaufen meist in der Nähe der Venen. Zu ihrer anatomischen Darstellung dient die Injection, u. zwar mit Quecksilber, wodurch aber nur die größeren Gefäßäste sichtlich gemacht werden können. Die von den Lymphgefäßen aufgenommene Feuchtigkeit wird erst in ihrem Fortgang, bes. durch Assimilation in den Lymphdrüsen, zu einer der Blutmasse ähnlichen Feuchtigkeit, od. zu Lymphe. Ihre Bewegung in den Lymphgefäßen, u. zwar in der Richtung der Zweige u. Äste zu den Stämmen, ist eine Folge der eigenen Lebensthätigkeit dieser Gefäße. In dem Thierreiche tritt das L. erst bei den Thieren hervor, welche ein wahres inneres Skelet haben, also bei den Fischen; doch haben hier die Lymphgefäße weder Drüsen noch Klappen; bei Amphibien haben sie zwar Klappen, aber nur wenig ausgebildete; bei Vögeln kommen Drüsen nur am Halse vor. Bei Säugethieren weichen sie nur wenig von dem Bau im inenschlichen Körper ab. Die Lymphgefäße waren den Alten unbekannt, obgleich diese die Bereitung u. Aufsaugung des Chylus kaunten, welche letztere sie aber den Venen zuschriebe n. C. Aselli entdeckte zuerst 1622 die Chylusgefäße in Hunden u. Pferden; 1628 wurden sie auch von de Peiresc in Menschen gefunden; 1649 fand I. Pecquetden Brustgang als gemeinschaftlichen Stamm der Chvlusgefäße u. seine Endigung in die Subclavicular- u. Jugularvenen. Ol. Rudbeck vollendete aber deren Entdeckung (nämlich so nicht blos Chylus, sondern wirkliche Lymphe führen), welcher sie 1652 zeigte; die Engländer aber schreiben diese Entdeckung ihrem Landsmann G. Joliff zu. Umfassende Kenntniß vom L-n S. haben, bes. unter Anwendung von Injectionen, erst in neuerer Zeit Cruikshank, Mascagni u. And. ertheilt. Lymphatologie, Lehre von dem lymphatischen System. Vgl. Asellius, De lactibus s. lacteis venis etc., Mail. 1627; I. Pecquet, Experimenta nova anat. quibus incognitum hactenus chyli receptaculum et vasa lactea deteguntur, Par. 1651; A. Monro u. I. F. Meckel, Opuscula anat. de vasis lym phaticis, Lpz. 1760; W. Cruikshank, The ana tomy of the absorbings vessels (deutsch von C. F. Ludwig), ebd. 1794; E. A. Lauth, Sur les vaisseaux lymphatiques, Strasb. 1824; V. Fohmann, Mém. sur les vaisseaux lymphatiques de la peau, Lüttich 1833; G. Breschet, Le système lymphatique, Par. 1836.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 647-648.
Lizenz:
Faksimiles:
647 | 648
Kategorien: