Ruhr [2]

[445] Ruhr (Dysenteria), eine oft epidemisch herrschende Entzündung der Schleimhaut der dicken Därme, wobei eiweißartige zu eiteriger u. brandiger Zerstörung geneigte Stoffe ausgeschwitzt u. unter Kolik u. Stuhlzwang ausgeleert werden, während der Darmkoth in den dünnen Därmen zurückgehalten bleibt. Andere Entzündungen der Schleimhaut des Dick- u. Mastdarmes ähneln zwar der R. u. werden als ruhrartige Durchfälle (Diarrhoea dyscnterodes) bezeichnet, liefern aber nicht jenes eigenthümliche Krankheitsproduct. Vorläufer der R. sind Verdauungsstörungen, schleimige u. gallige Stühle, Leibschmerzen, ungewöhnliche Empfindlichkeit der Haut etc., doch zuweilen fehlen sie gänzlich. Gleichzeitig mit den die R. begleitenden Kolikschmerzen u. dem Stuhlzwange stellen sich bisweilen Harnbeschwerden ein, ein Fieber mit abendlicher Steigerung, heißer Haut, großem Durste u. sehr veränderlichem Pulse. Im höchsten Grade der R. ist fast ununterbrochenes Drängen zum Stuhlgang vorhanden, ohne daß mehr als wässerige, schleimige, eiterige (Weiße R.), blutige (Rothe R.) Stoffe mit kleienartigen flockigen, selbst häutigen Fetzen ausgeleert werden u. die Leibschmerzen u. Unruhe des Kranken sind aufs Höchste gestiegen. Nach u. nach, oft erst in 14 Tagen u. darüber, nehmen diese Erscheinungen wieder ab, es zeigt sich Koth in den Ausleerungen u. die Genesung tritt allmälig ein, häufig jedoch mit mangelhafter Verdauung u. Neigung zu Durchfall u. Darmverstopfung. Zuweilen tödtet die R. auf ihrer Höhe durch Zurückhaltung des Kothes, Entzündung u. Brand der Gedärme, durch Entmischung des Blutes durch Lungen-, Hirn- u. Herzzufälle od. auch durch Darmblutung u. Erschöpfung. Als Nachkrankheiten treten Vereiterung, Verengerung u. Durchbohrung der Gedärme, langwierige Durchfälle, Lienterien, Leberleiden, Wassersucht u. Darmschwindsucht auf. Die einzelnen Ruhrepidemien haben oft sehr verschiedenen Charakter, bald den fauligen, bald den nervösen, bald den lähmungsähnlichen. Die R. u. deren Epidemien zeigen sich nach vorausgegangener heißer Jahreszeit nach Genuß unreifen Obstes, saurer Biere etc., u. wird durch Anhäufung vieler Menschen an einem Orte, Kriegsstrapazen, allgemeine Noth, Mißwachs sehr begünstigt. Die R. kann auf ihrer Höhe ansteckend werden durch ihr Krankheitsproduct, bes. bei gemeinsamer Benutzung der Nachtgeschirre, der Betten u. der Leibwäsche. Bei der Behandlung der R. hat man auf gleichmäßige Wärme, wie des ganzen Körpers so bes. des Unterleibes zu halten, auf sorgfältige u. vorsichtige Lüftung des Krankenzimmers u. auf schleimige Mittel zu Speise u. Trank. Gegen den Schmerz des Stuhlzwanges werden innerlich u. (äußerlich an den After) krampfstillende Mittel angewendet, wobei vor Allem Opium im Gebrauch ist, u. nicht selten macht die Zurückhaltung von Kothmassen in den oberen Theilen der Gedärme milde Abführmittel nöthig. Je nach dem Charakter der R. unterscheidet man eine katarrhalisch-rheumatische Form, eine entzündliche, eine nervöse, faulige, gallige, gastrische, pituitöse u. chronische R., s. Milchruhr. Vgl. Stauff, Zur Lehre von der R., Tüb. 1836; Siebert, Genesis u. Therapie der rothen R., Bamb. 1839; Berndt, Bemerkungen über R., Greifsw. 1840; Peysson, Mém. sur la dysenteric, Par. 1840; Merz, Die R. als Epidemie u. als Krankheit, Zürich 1845.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 445.
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