Ungarische Sprache

[170] Ungarische Sprache. Die U. S. ist unter den Sprachen des christlichen Europa diejenige, welche die Spuren ihrer asiatischen Abkunft noch am treuesten bewahrt hat. Ihre Beziehung zu der Finnischen auf der einen, der Türkischen auf der anderen Seite hat zuerst Gyarmathi dargethan, während Beregszászi's Vergleichung mit dem Semitischen Sprachstamm weniger glücklich u. wohl hauptsächlich aus dem bei den Ungarn bes. lebhaften Wunsch hervorgegangen zu sein scheint den in Dunkel gehüllten Ursprung ihrer Nation in dem Wiederschein dieses od. jenes Glanzpunktes der Weltgeschichte aufzuhellen. Das Lautsystem der U. S. ist einfach u. regelmäßig. Sie zählt sieben Vocale: a, e, i, o, ö, u, ü, welche entweder unbetont u. kurz od. betont u. lang (durch einen ´ bezeichnet) sein können. Die mannigfaltigste Abwechselung, in welcher diese zwei Vocalklassen vorkommen, macht die U. S. bes. geschickt zur Nachahmung antiker Versmaße, in welchen auch mehre Dichter sich mit Glück versucht haben. Wichtig für die Formenlehre ist der Unterschied zwischen harten (a, o, u) u. weichen (e, ö, ü) Vocalen, da die Vocale der Flexionssylben sich in der Regel nach denen der Wurzelsylben richten, was selbst bei gewissen Zusammensetzungen, namentlich mit Postpositionen, stattfindet. Der Consonanten sind 24: b, cs (ts), cz (tz), d, f, g, gy, h, j, k, l, ly, m, n, ny, p, r, s, sz, t, ty, v, z, zs, ('s). Die mit y zusammengesetzten Consonanten werden mouillirt; eine eigenthümliche, schwer zu erlernende Aussprache hat gy, man kann es mit di in dem französischen Worte dieu vergleichen, nur ist es viel weicher. Cs ist = tsch, cz = z, s = sch, sz = dem französischen ç, z = dem franz. weichen s od. z, zs = dem franz. j; b u. d klingen vorzüglich am Anfang der Wörter im Munde des Magyaren fast wie md, nd. Die U. S. duldet nicht gern zwei Consonanten am Anfang der Wörter; in fremden eingebürgerten Wörtern hilft sie sich daher durch Vorsetzung od. Einschiebung eines Vocals, z.B. asztal, Tisch (slawisch stól), Király, König (slawisch Králj). Die Declination ist sehr einfach; das Genus wird nicht bezeichnet; der Plural wird aus dem Singular durch ein angehängtes k (od. ak, ok für Wörter mit harten, ek, ök für solche mit weichen Vocalen) gebildet, z.B. tanitó, Lehrer, Plur. tanítók, virág, Blume, Plur. virágak, könyv, Buch, Plur. könyvek. Streng genommen hat die U. S. nur Eine Casusendung, nämlich zu Bezeichnung des Objectverhältnisses (Accusativ): t, at, ot, et, öt, z.B. tanítót, virágat, könyvet, Plur. tanítókat etc. Der Nominativ wird durch keine besondere Endung, alle anderen Verhältnisse durch Postpositionen bezeichnet, weshalb frühere Grammatiker zum Theil eine große Menge Casus annahmen, z.B. Dativ virágnak (eigentlich für die Blume), Ablativ virágtól (von der Blume). Anstatt des Genitivs bedient man sich entweder der Postposition des Dativs: az attyának háza (dem Vater sein Haus) od. man läßt das im Genitivverhältniß stehende Wort ohne Beugung u. hängt nur dem darauf folgenden Substantiv das Pronominalsuffix der dritten Person an: a' virág' szépsége (die Blume ihre Schönheit, statt die Schönheit der Blume). Außerdem hat der Ungar die Endung é zu Bezeichnung eines absoluten Genitivverhältnisses, ähnlich dem unverbundenen Pronomen possessivum der deutschen u. französischen Sprache (der meinige, le mien), z.B. az attyáé, das des Vaters. Das mit dem Hauptwort verbundene Adjectiv wird nicht flectirt, unverbunden hat es mit jenem gleiche Declination. Der Comparativ wird durch die Endung bb (abb, obb, ebb), der Superlativ aus diesem durch die Vorsetzsylbe leg gebildet, z.B. nagy, groß, nagyobb, größer, legnagyobb, größest. Von den einfachen Zahlwörtern werden Distributiva durch die Endung an, on, en, ön, Ordinalia durch die Endung dik gebildet das Suffix, szor, ször, szer, bezeichnet – mal. Die Declination der persönlichen Fürwörter ist unregelmäßig, den Postpositionen werden sie suffigirt: nekem, für mich, tölem, von mir. Dieselben Suffixe bilden an Substantiven das Possessivum: könyvem, mein Buch, virágom, meine Blume, attyám, mein Vater. Den Plural bezeichnet ein eingeschobenes i: könyveim, meine Bücher etc. Demonstrativa sind ez, e' (dieser), az, a' (jener). Letzteres wird als bestimmter Artikel gebraucht, ein Luxus, welchen die Sprache wohl erst später durch Berührung mit germanischen u. romanischen Völkern sich angeeignet hat, da die nie fehlenden Pronominalsuffixe jeder Undeutlichkeit vorbeugen. Die Verhältnißwörter sind in der U-n S. Postpositionen, welche theils mit dem Substantiv verbunden werden (z.B. az asztalon, auf dem Tische), theils nicht (z.B. az asztal alatt, unter dem Tische). Einen besonderen Reichthum entfaltet die U. S. in dem Verbum; nicht nur unterscheidet sie Activum u. Passivum u. bildet von jedem, nach verschiedenen Regeln, Tempus u. Modus, sondern sie hat auch noch eine doppelte Conjugation, je nachdem das Object der Handlung ein bestimmtes od. ein unbestimmtes ist (kérek, ich bitte, kérem, ich bitte ihn, sie, es etc.). Außerdem gibt es Bildungssylben für Transitiva, Intransitiva, Causativa, Facultativa etc., so wie auch in Entwickelung der Substantiva, Adjectiva u. Verba, eines aus dem anderen, die U. S. eine große Bildsamkeit besitzt. Adverbia werden aus Substantiven, Adjectiven u. Zeitwörtern durch die Endungen an, on, en, ön, úl, ül, lag, leg, ást, va, vé gebildet In der Construction erfreut sich die U. S. fast gleicher Freiheit mit der lateinischen, deren Periodenbau nachzuahmen sie überaus geeignet ist. Das Adjectiv steht vor seinem Substantiv, deshalb auch der Familienname, welcher als eine Art Adjectiv angesehen wird, vor dem Taufnamen. Das Verbum substantivum der dritten Person, wenn es nur Copula ist, wird ausgelassen; mit dem Dativ drückt es das Zeitwort haben (eigentlich mir, dir u. ist) aus, wofür die U. S. kein besonderes Wort hat. Der Anfang des Vaterunsers lautet: mi attyánk ki vagy a' mennyekben, szenteltessémeg a' te neved, d.h. unser Vaterunser welcher bist den Himmeln–in, geheiligt–werde der dein Name–dein. Grammatiken,: von Márton, Wien 1833; Gyarmathi, Clausenburg 1794; Verséghi, Pesth 1805; Beregsàszi, Erlang. 1797; Kis, Wien 1834; Névai, Pesth 1803; M. Bloch, ebd. 1846. 2. Aufl.; Riedl, Wien 1858. Wörterbücher: von Márton, Wien 1823; Papai, Cibin. 1782; Dankowsky, Presburg 1833; von der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft, Ofen 1838–43; von Elek, Pesth 1848; s. Ungarische Literatur S. 168f.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 170.
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