Pesth

[891] Pesth (Pestinum), 1) (Pesth-Ofen), Verwaltungsgebiet in Ungarn, 633,76 QM. u. (1857) 1,769,451 Ew. (ohne Militär), zerfällt in die Stadtbezirke Ofen u. Pesth u. 9 Comitate; nördlich gebirgig, sonst eben; Flüsse: Donau (mit mehren Inseln, z.B. Csepel-, Haasen-, St. Andreasinsel etc.), Theiß u. kleinere Nebenflüsse; 2) (Pesth-Pilis), Comitat darin, 99,11 QM., 237,000 Ew.; 3) Stadt darin, der königlichen Freistadt Ofen gerade gegenüber am linken Donauufer mit Kettenbrücke, welche durch eine Actiengesellschaft in den Jahren 1839–1849 erbaut wurde; sie ist 1250 Fuß lang, 40 Fuß breit, die 30 Fuß breiten Pfeiler sind 130 Fuß hoch u. der Bogen zwischen beiden ist 600 Fuß lang u. so hoch, daß die meisten Dampfschiffe, ohne den Rauchfang umzubiegen, durchpassiren können. Über den Wasserpfeilern erheben sich 42 Fuß hohe Thorbögen. P. ist Sitz der Pesth-Pilischen Comitatsbehörde, Finanzbezirksdirection, Steuercommission, Hauptdreißigamt, Postdirection, Polizeidirection, Tabakeinlösungsdirection, Oberlandes-, Wechsel-, Landes-, Urbarial-, Collegialgerichte. Die städtische Verwaltung wird von einem Magistrate u. einem Gemeinderath geleitet, an der Spitze des ersteren stehen ein Ober- u. Vicebürgermeister. Seit 1808 besteht eine Stadtverschönerungscommission, zu welcher Joseph II. ein Capital stiftete. Auch bestehen zu P. ein Schiffsbaucommando, ein Transportsammelhaus u. Lagerspital als Militäranstalten. P. zerfällt in die innere Stadt (das alte P.), ein längliches Viereck an der Donau, Ofen gerade gegenüber, u. in die, die innere Stadt im Halbkreis umschließenden, von der auf den alten Festungswerken errichteten Landstraße von derselben getrennten 4 Vorstädte; von ihnen ist die Leopoldstadt der schönste Stadttheil an der oberen Donau, sie ist seit 1780 ganz regelmäßig gebaut, hat breite Straßen u. bildet nächst der inneren Stadt die Donaufront; dagegen sind die übrigen Vorstädte: die Theresienstadt, neben der vorigen, mehr Judenquartier, die Josephstadt, südlicher, u. die Franzensstadt, mit welcher sich der Halbkreis an die untere Donau wieder anschließt, noch in kleinstädtischem Zustand. Das Pflaster ist nur in den Hauptstraßen gut, die Enden der Vorstädte haben gar keines, das Wasser ist schlecht, das Klima oft rauh u. stürmisch. Die ganze Stadt hält 11/2 Stunde in der Länge, 3 Stunden im Umfang. Unter den 12 Plätzen zeichnen sich aus der neue Markt- (jetzt Elisabeth-) platz, auf welchem sich eine Promenade befindet, einer der größten Plätze in Europa, der bes. lebhafte Ausladeplatz an der Donau, der Rathhausplatz, der Franciscanerplatz mit Springbrunnen, der Josephsplatz (gegenwärtig auch eine Promenade), der belebte Servitenmarkt. Merkwürdig ist noch das Pariser Gäßchen, welches, 250 Fuß lang, ganz nach Art der Pariser Passagen gebaut, mit Portalen geschmückt, mit Glas gedeckt ist u. 32 Verkaufslocale enthält. P. hat 16 katholische Kirchen (Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, Universitäts-[Pauliner-] kirche, Kirche der Serviten, Kirche der Englischen Fräuleins, Leopoldstädter Kirche etc.), in denen abwechselnd deutsch, magyarisch u. slawisch gepredigt wird, 2 griechische, 1 evangelische, 1 reformirte Kirche; außerdem 2 Synagogen u. 5 dergleichen in Privatgebäuden. Merkwürdige Gebäude: Piaristencollegium, Börse, die Kasernen u. unter ihnen die Artilleriekaserne (Neugebäude, Josephinisches Gebäude, welches zugleich das Munitionsmagazin enthält, mit 5 Höfen, 311 Sälen u. Zimmern, 77 Küchen), das Ludoviceum mit Reitschule u. Park, das Comitatshaus mit Saal u. Rüstkammer, die Nationalreitschule, das Rathhaus, das Invalidenhaus (mit 5 Höfen), Bahnhof, Nationalmuseum, Nationattheater. Wissenschaftliche Anstalten: die Ungarische Akademie, 1827 gegründet, um die Wissenschaft u. Schöne Literatur zu pflegen, zu verbreiten u. zugleich die Ungarische Sprache auszubilden u. zu bereichern, hat ein Stammcapital von 400,000 Gulden CM., zählt 205 Mitglieder u. besitzt eine Bibliothek; Kisfaludy-Gesellschaft, Ungarischer Naturforscher-Verein, Geologische Verein, königliche Gesellschaft der Ärzte von Buda-Pesth, St. Stephansverein, Kunstverein, Conservatorium. Die Universität, 1685 vom Primas u. Cardinal Peter von Pazmann mit 100,000 Gulden Capital in Tyrnau gestiftet, 1777 nach Ofen u. 1784 nach P. verlegt, besitzt die Abtei Földvár, die Probstei Thurocz u. die halbe Probstei Bozok, hat 4 Facultäten, 1 Rector, 4 Dekane, 80 Professoren, 4 Adjuncten, 9 Assistenten, 1460 Studenten, das ehemalige Jesuitenhaus (mit medicinischen Anstalten, darunter Anatomisch-Physiologisches Museum). Mit ihr vereint ist das Generalseminar u. die Thierarzneischule, 1786 errichtet. Diese Universität hat eine Bibliothek mit vielen Manuscripten u. Incunabeln, Naturalien-, Anatomisch-Physiologisches, Numismatisches Cabinet, Laboratorium u. Botanischen Garten. In Ofen besitzt die Universität die Universitätsdruckerei. Außerdem gibt es in P. 2 katholische Gymnasien, 1 evangelisches Gymnasium, 1 protestantisch theologische Anstalt, 1 Centralseminar,[891] 1 städtische Realschule, 4 Commerzialschulen, 17 Knaben-, 36 Mädchenerziehungsanstalten, 1 Nationalfechtschule, Institut der Englischen Fräuleins, 4 Handlungsschulen etc. Sammlungen: Nationalmuseum, dasselbe ist vom Grafen Franz von Szechényi 1803 gegründet, mit einem Fond von 1 Million Gulden, es enthält eine Sammlung von Alterthümern, Münzen, Gemälden u. Seltenheiten aller Art, Bibliothek mit 12,000 Handschriften, Urkundensammlung, Naturaliencabinet, Productensammlung etc. Versorgungs- u. Wohlthätigkeitsanstalten: Säuglingsbewahranstalt, 12 Kleinkinderbewahranstalten, Landesblindeninstitut, Waisenhaus, Frauenverein, Sparkasse, Versatzamt, 6 Assecuranzanstalten, Rochusspital, Armenkinderspital, kaufmännisches Krankenhaus, Israelitenspital, Militärspital, Klinik, Institut der Barmherzigen Schwestern, mehre Kranken- u. Leichenvereine, städtische Versorgungsanstalt, Versorgungshaus u. Spital der nichtunirten Griechen, Spital der Elisabethinerinnen, Bürgerspital, Zwangsarbeitshaus, Rombachbad, 3 Eisenbäder, 2 Dampfbäder etc. P. ist der Hauptort der ungarischen Industrie; man findet Fabriken in Zucker, Seide, Tuch, Kattun, Sieben, Handschuhen, künstlichen Blumen, Meerschaum, Zündhölzchen, Öl, Karten, Leder, Hüten, chemischen Waaren; es gibt viele Färber, Drechsler, Schuster u. Schneider. Der lebhafteste Handel concentrirt sich in den 4 Märkten, den Waarenumschlag auf jedem schätzt man auf 10 bis 15 Mill. Fl.; Hauptgegenstände des Handels sind Wolle, Häute, Honig, Knoppern, Wachs, Branntwein, Ungarische Weine u. Hornvieh. In P. bestehen 15 Druckereien, 16 Buchhandlungen, 8 Lithographische Anstalten, 3 Kunsthandlungen u. 72 Zeitschriften in Ungarischer, Deutscher u. Slawischer Sprache, Nationaltheater, deutsches Theater, Sommertheater, 4 Casinos; Fiaker gibt es an 500, nebst den Einspännern u. Omnibussen. P. ist durch die österreichische Südost-Staatsbahn einerseits über Presburg mit Wien u. andererseits über Czegléd mit Szegedin (Temeswar), so wie durch die Theißbahn (ebenfalls über Czegléd) mit Debreczin u. Großwardein verbunden.) Stunde von der Stadt ist das Stadtwäldchen (Pesther Prater, Volksgarten), zum Park umgeschaffen, mit Schaukeln, Teich mit Insel u. Drahtbrücke, Gasthaus; eben so weit entfernt ist der Garten des Ludoviceums mit Parkanlagen, Glashaus u. Weingärten; die Palatinalinsel, 1000 Schritt lang, 400 breit, mit Parkanlagen, Ruinen des Margarethenklosters etc. Entfernter ist das Schloß Peczel des Grafen Radai; jährlich werden Wettrennen auf dem Rakosfeld, dem sonstigen Versammlungsort der Reichsstände u. Wahlplatz der Könige, gehalten. 1860: 131,705 Einw. (worunter ungefähr 80,000 Deutsche, 35,000 Magyaren, 14,000 Juden, 1000 Griechen, die Übrigen sind Slawen, Raizen etc.); Militär: 12–15,000 Mann. – Schon die Römer hatten in der Gegend die Colonie Contra Acincum od. Pessium, u. unter Geysa I. wird hier eines Zolles gedacht. 1241 war P. schon eine bedeutende, mit Deutschen bevölkerte Stadt u. wurde von den Mongolen zerstört, aber wieder aufgebaut, gewann durch die gegenüber angelegte Residenz Ofen später an Flor, hatte aber auch Drangsale mit ihr. Später wuchs sie vorzüglich durch die Reichsversammlungen auf dem Rakosfeld. Nach der Schlacht von Mohacs 1526 sank P. u. verfiel unter den Türken in Trümmern, bis es sich 1689 nach der Einnahme von Ofen durch die Christen wieder hob. 1703 wurde P. königliche Freistadt. Karl VI., Leopold I., Maria Theresia, Joseph II. u. Franz I. thaten in steigendem Maße viel für P., u. 1784 wurde die Universität von Ofen hierher verlegt. Seit Beendigung der Türkenkriege 1789 wurde das zunehmen P-s noch bedeutender. 1830 Unruhen daselbst beim Ausbruch der Cholera; 1838 zerstörte eine furchtbare, die Dämme durchbrechende Donauüberschwemmung die Stadt. Am 27. Sept. 1846 hier revolutionäre Auftritte u. am 28. Sept. Ermordung des Grafen Lamberg auf der Brücke zwischen P. u. Ofen. In der Nacht vom 4. zum 5. Jan. 1849 verließ Kossuth mit der ungarischen Armee die Stadt, am 5. zogen Windischgrätz u. Jellachich ein, u. am 7. wurde P. in Belagerungszustand erklärt. Am 23. April räumten die Österreicher P. wieder u. Dembinski besetzte mit Polen u. Magyaren die Stadt aufs Neue; worauf von Ofen aus P. am 4. Mai von den Österreichern bombardirt wurde. Nach der Capitulation von Vilagos (Aug. 1849) nahmen österreichische Truppen wieder Besitz von P. Im Februar u. März 1861 abermals unruhige Auftritte, welche aber bald wieder unterdrückt wurden.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 891-892.
Lizenz:
Faksimiles:
891 | 892
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon