Unwissender

1. Der Unwissende versteht den Wissenden nicht.

Die Osmanen sagen: Nur der Wissende weiss den Wissenden zu beurtheilen. Was soll auch der Unwissende wissen von dem Wissenden. (Schlechta, 172.)


2. Der Vnwissendt hat gute Tag; er acht nicht, was man thu oder sag.Lehmann, 819, 6; Petri, II, 111.


3. Mit vnwissenden soll man gedult haben.Henisch, 1416.

Die Japaner sagen: Der Unwissende selbst hat Tugenden wie der Weise Fehler. – Um ihre Leser einen Blick in die Anschauungen und die Denkweise dieses Volks thun zu lassen, theilt die Vossische Zeitung (Berlin 1875, Nr. 100) eine Anzahl japanischer Sprichwörter mit, die meist mit andern Worten oder unter andern Bildern Erfahrungen, Ansichten, Grundsätze u.s.w. ausdrücken, die den unsern mehr oder weniger entsprechen, weil sie von denkenden Menschen fast überall gemacht werden müssen. Ich lasse sie hier in deutscher Uebersetzung folgen, auf verwandte deutsche im Deutschen Sprichwörter-Lexikon verweisend: »Ein kluger Adler verbirgt die Krallen. Indem man das Alte sucht, findet man das Neue.« Die abgefallene Blume kehrt nicht auf den Zweig zurück. Aus der Bambushecke kommen die Stöcke. Es ist schwer, einen Brief zu schicken, wenn man nicht schreiben kann. Der Beifall ist die Wurzel der Schmähung. Ungeschliffene Edelsteine glänzen nicht. Ehe du fällst, nimm den Stock. Eine hässliche Frau fürchtet den Spiegel. Der Frosch im Brunnen weiss nichts von der hohen See. Hüte dich vor schönen Frauen wie vor scharfem Pfeffer. Indem man das Gras schlägt, verjagt man die Schlangen. (S. Sack 10.) Gewohnheit geht vor Lernen. (S. Gewohnheit 71.) Heftigkeit ist Verlust. Zu höflich wird unhöflich. (S. Höflich 6.) Billig kaufen ist, sein Geld verlieren. (S. Kauf 68.) Wenn man Kinder hat, kennt man die Liebe der Aeltern. (S. Kind 1007.) Die Krankheiten kommen durch den Mund. (S. Maul 7.) Aus der Lüge geht die Wahrheit. Man bringt sein Leben zu wie man denkt. Ein gesättigter Mund vergisst den Wohlthäter. (Gutthat 2.) Die Reue geht dem Fehler nicht voran. (S. Reue 5.) Nach dem Regen trocknet die Erde. (S. Regen 70.) Schwiegertöchter werden Schwiegermütter. (S. Schwiegermutter 6 u. 7.) Zu viel gethan, ist nichts gethan. Wer sich Tiger hält, schafft sich Sorge. Wahrsager, sage dir selbst wahr! Grosse Worte, kleine Thaten. Die Zweige der Weide brechen nicht unter dem Gewicht des Schnees.


[Zusätze und Ergänzungen]

4. Der Unwissende betrachtet den Gelehrten zuerst wie einen goldenen Krug; wenn er aber mit ihm über weltliche Dinge redet, so erscheint er ihm wie ein silberner Krug und sinkt zum irdenen herab, wenn er einen Genuss von ihm hat.Löwenheim, 55, 231.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 1. Leipzig 1867.
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