Delphi

[523] Delphi, einer der heiligsten Orte des alten Griechenlands, der Sitz seines berühmtesten Orakels, war eine kleine Stadt in der Landschaft Phocis am südwestl. Abhange des Parnassus, wo in der jetzigen Provinz das armselige Dorf Kastri liegt. Der Sage nach erlegte Apollo hier den Drachen Pytho und um sich zum Andenken dieser That daselbst ein Denkmal zu gründen, nöthigte er in Gestalt eines ungeheuren Delphins ein eben vorbeisegelndes Schiff von der Insel Kreta, in der Nähe zu landen, zeigte sich dann den Schiffern in seiner Göttergestalt und indem er ihnen verkündete daß sie ihre Heimat nimmer wiedersehen würden, wählte er sie zu Priestern für seinen Tempel. Von ihnen wurde D. angelegt, das von den Alten für den Mittelpunkt der ihnen bekannten Erde gehalten wurde, indem die Sage ging, Jupiter habe von Morgen und von Abend zwei Adler abgeschickt, um die Mitte der Erde zu messen, die hier zusammengetroffen wären. Das Orakel des Apollo lag jedoch nebst allen Tempelgebäuden außerhalb der Stadt auf dem höchsten Punkte der Umgebungen und vom Tempel selbst ward auch die Höhle Pythium umschlossen, wo die Orakelsprüche eigentlich ertheilt wurden. Die Entdeckung derselben wird einem Hirten zugeschrieben, der von den daraus hervordringenden Dünsten berauscht, zum Seher geworden sein soll. Auf einen über diese Höhle gestellten, mit Lorber bekränzten h. Dreifuß setzte sich die Priesterin, Pythia genannt, nachdem sie sich in der am Tempel vorüberfließenden kastalischen Quelle gebadet, sich mit Lorber bekränzt, einen nahestehenden Lorberbaum geschüttelt, auch wol einige Blätter davon genossen hatte, und gerieth nun allmälig in eine bis zur Raserei gesteigerte Verzückung, sodaß sie von den Priestern gewaltsam auf dem Dreifuße zurückgehalten werden mußte, während sie unter Geheul und Stöhnen auch einzelne Worte ausstieß, die von den Priestern gesammelt und den Fragern als Antworten des Gottes überliefert wurden. In den ältesten Zeiten wurden dieselben in dunkeln, doppelsinnigen Versen, später erst in Prosa ertheilt und standen vermöge ihrer Doppelsinnigkeit, von der die dem Krösus [523] (s.d.) ertheilte Antwort ein berühmtes Beispiel ist, lange im Rufe der Unfehlbarkeit. Da kein Orakelsuchender ohne Geschenke erscheinen durfte, so wurden im Tempel ungeheure Schätze aufgehäuft und auch die Stadt D. ward mit Denkmalen der Dankbarkeit vielfach ausgeschmückt. Sie war außerdem noch als Versammlungsort der Amphiklyonen (s.d.), sowie durch die auf der Ebene zwischen D. und Kirrha anfänglich alle neun, dann alle fünf Jahre gefeierten, den olympischen ähnlichen pythischen Spiele, welche sich bis ins 3. Jahrh. n. Chr. erhielten, im Alterthume berühmt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 523-524.
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