Homer

Homer

[410] Homer, der älteste Dichter der Griechen, dessen Gesänge wir noch zum Theil besitzen und einer der größten Sänger aller Zeiten, war ein kleinasiat. Grieche und lebte wahrscheinlich im 9. Jahrh. v. Chr.

Sieben und mehre Städte stritten im Alterthume um die Ehre, seine Vaterstadt zu sein, am meisten aber hat die Nachricht für sich, daß er in der Nähe von Smyrna am Flusse Meles, nach welchem er Melesigenes (d.h. der Melesgeborene) beigenannt wurde, geboren worden. Es heißt, er sei ein Kind der Liebe gewesen und als sein Vater wird Mäon, als seine Mutter [410] Kritheïs genannt. Nach Jenem hieß er der Mäonide. Es werden auch noch andere Abstammungen desselben angegeben, indem man ihn z.B. einen Sohn des Apollon und der Muse Kalliope genannt hat. Sein Name Homeros, d.h. der Blinde, hat zu der Sage Veranlassung gegeben, daß er durch den Stich einer Biene oder durch eine Krankheit erblindet sei. Ebenso abweichend, wie die Nachrichten über seine Geburt, sind auch die über seinen Tod, doch zeigte man auf der Insel Jos, welche jetzt Nio heißt, sein Grab und seine Grabschrift. Seine Gedichte standen bei den Griechen in ungemein hohem Ansehen und zwar nicht allein wegen ihrer allgemein bewunderten poetischen Schönheit, sondern auch wegen der in ihnen enthaltenen Götterlehren und Weltanschauung. Sie waren in dieser Beziehung die heiligen Bücher der Griechen und hatten religiöses Ansehen. Früher waren sie nur in Kleinasien und auf den Inseln verbreitet, bis Lykurg, der berühmte Gesetzgeber der Spartaner, die ersten Nachrichten von ihnen nach dem griech. Mutterlande brachte. Erst 300 Jahre später stellten Pisistratus und seine Söhne, die kunstliebenden Tyrannen von Athen, Sammlungen Homerischer Gesänge an und trafen die Einrichtung, daß sie von den Rhapsoden (s.d.) alljährlich am Feste der Panathenäen öffentlich vorgetragen wurden. Solche Rhapsoden waren vielleicht auch die sogenannten Homeriden, unter denen man jedoch auch Nachahmer und Nachfolger des H. verstehen kann. Zu des H. Zeiten war die Schrift noch nicht erfunden, oder doch noch nicht ausgebildet, und es müssen sich daher die Homerischen Gesänge von Mund zu Munde fortgepflanzt haben. In diesem Falle ist es aber nicht nur wahrscheinlich, sondern sogar nothwendig, daß sich Manches von den ursprünglichen Gesängen im Munde der Rhapsoden verändert habe, ja daß Neues dem Alten hinzugefügt und mit ihm verschmolzen wurde. Höchst wahrscheinlich wurden sogar ganze längere Gesänge unter dem Namen des H. neu erfunden. Schon im Alterthume zweifelte man an diesen Thatsachen nicht und war wiederholt bemüht, das echt Homerische von Demjenigen, was dem großen Dichter fälschlich zugeschrieben wurde, zu scheiden. Erst in neuester Zeit aber haben Gelehrte, besonders der berühmte Philolog F. A. Wolf, die Ansicht geltend zu machen gesucht, daß auch die beiden größten, bisher immer für echt angesehenen Werke H.'s nicht die Schöpfung Eines Dichters seien, sondern von verschiedenen Dichtern (Homeriden) herrührten und erst später, sowie sie noch vorliegen, zusammengesetzt und zu einem Ganzen verarbeitet worden seien. Zugleich hat man sich bemüht, eine solche Zusammensetzung in jenen Gedichten selbst aufzuzeigen, sowol in Bezug auf den Inhalt, als auf die Sprache und Versform. Sogar daran hat man gezweifelt, ob jemals eine Person H. existirt habe und ob nicht vielmehr die Vorstellung einer solchen erst nachmals sich ausgebildet habe. Die beiden vorzüglichsten dem H. zugeschriebenen und zugleich größten Gedichte sind die Ilias und die Odyssee, beide Epopeen, welche sich durch einfach schöne Sprache, sowie durch unverbesserliche Wahrheit der Naturanschauung auszeichnen und das Muster für spätere Epopeen geworden sind. Die Ilias enthält eine Schilderung der Unternehmungen der Griechen vor Troja (s.d.), während die Odyssee die Irrfahrten des heimkehrenden Odysseus (s.d.) schildert. Beide Gedichte sind in Hexametern geschrieben, welche Versform später für die meisten Heldengedichte beibehalten und daher das heroische, wol auch das Homerische Versmaß genannt worden ist. Außerdem werden dem H. noch mehre Hymnen, Epigramme und die Batrachomyomachie, d.h. der Frosch- und Mäusekrieg, zugeschrieben. Das letztgenannte Gedicht ist nichts Anderes, als eine Travestie der Ilias und Odyssee und gehört jedenfalls einer spätern Zeit an. Nicht allein sind die Gedichte des H. sehr häufig herausgegeben worden, sondern man hat dieselben auch in fast alle Sprachen gebildeter Völker übersetzt. Die beste deutsche Übersetzung ist von Joh. Heinr. Voß. Außerdem sind eine große Anzahl zur Erläuterung der Homerischen Gedichte dienender Schriften, sowie viele Scenen aus denselben darstellende Abbildungen erschienen. Die ausgezeichnetsten Maler haben Stellen der Ilias und Odyssee zu ihren Gemälden benutzt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 410-411.
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