Marasmus

[48] Marasmus, zuweilen auch Darrsucht und Auszehrung aus Altersschwäche, wird der aus einer sehr langen Lebensdauer naturgemäß hervorgehende Verfall des Menschen in geistiger und körperlicher Hinsicht genannt, welcher ausnahmsweise aber auch ungewöhnlich früh durch eine ausschweifende oder mit zu vielen, Geist und Körper gleich erschöpfenden Anstrengungen verbundene Lebensart herbeigeführt werden kann. Beträchtliche Abnahme der geistigen und der Lebenskräfte und daher rührende mangelhafte Ernährung des Körpers, Überwiegen seiner festen Bestandtheile durch einen hohen Grad von Abmagerung und allgemeine Erschlaffung sind hauptsächlich Merkmale dieses Zustandes. Die Knochen verlieren ihre frühere Festigkeit, werden schwächer und gebrechlicher, ja erhalten mitunter eine ganz andere Gestalt, wie z.B. die Ober- und Unterkiefer, nachdem die Zähne ausgefallen sind; die Knorpel und Bänder des Körpers werden dagegen dichter, weniger elastisch und verknöchern sogar an einzelnen Stellen, die Muskeln verlieren an Masse und [48] Kraft zugleich, daher Greise so leicht nach körperlichen Bewegungen ermüden, ja endlich gänzlich unfähig zu dergleichen werden. Der Körper krümmt sich, kriecht zusammen, weshalb alte Leute gewöhnlich kleiner von Statur zu sein scheinen, als in jüngern Jahren; die Haut wird schlaff, runzlicht, trocken, dunkler gefärbt, die Haare werden weiß und fallen meist aus. Der allgemeine Verfall spricht sich in der ganzen äußern Erscheinung aus und selbst der Geschlechtsunterschied verwischt sich; alte Frauen bekommen mehr männliche Züge, eine tiefere Stimme und mitunter einen förmlichen Bart, während der Greis durch Ausfallen des Barts und andere Veränderungen ein mehr weibisches Ansehen erhält. Das höhere Vermögen des Geistes erhält sich bei merklicher Abnahme des Gedächtnisses oft noch eine Zeit lang unversehrt, endlich aber stumpft sich auch dies ab und der Greis wird zum Kinde. Von einer Heilung des eben beschriebenen Zustandes kann nicht die Rede sein, insofern er ein naturgemäßer Begleiter des schwindenden Lebens ist; aber verzögern läßt sich der allgemeine Verfall durch Beobachtung einer Lebensweise und Diät, welche die erlöschenden Lebenskräfte anzufachen und zu unterstützen im Stande ist. Dazu führt das Unterlassen jeder unnöthigen körperlichen und geistigen Anstrengung, das Vermeiden angreifender Gemüthsbewegungen, eine leicht verdauliche, nahrhafte Kost, der Genuß eines guten, alten Weins, oder wenn dieser nicht zu erschwingen ist, eines guten kräftigen Biers, mäßige, nicht bis zur Ermüdung fortgesetzte Bewegung in freier Luft, Erheiterung, Zerstreuung und nöthigenfalls wol auch der Gebrauch stärkender Bäder und Arzneien.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 48-49.
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