Rindvieh

Rindvieh

[713] Rindvieh werden im Allgemeinen jene nützlichen, landwirthschaftlichen Hausthiere aus der Familie der gehörnten wiederkäuenden Säugthiere genannt, von denen der Bison, Büffel und Auerochs (s.d.) zum Theil noch wild lebende Arten sind.

Über die Abstammung unsers zahmen Rindviehes, das Manche von dem Auerochsen, Andere von den Büffeln herleiten, sind die Meinungen getheilt und bei den großen Abweichungen, welche sich in wesentlichen natürlichen Eigenschaften an demselben im Vergleiche mit jenen herausstellen, gewinnt die Annahme Wahrscheinlichkeit, daß es von einer eignen, durch die fortgesetzte Züchtung aber gänzlich untergegangenen Art herrühre, die vielleicht dem verwilderten Rindviehe höchst ähnlich war, welches jetzt in den amerik. Pampas und Savannen lebt. Es stammt dasselbe vom europ. zahmen Rindvieh her, welches dahin gebracht wurde, seinen Besitzern entlief und bei der reichlichen Weide sich in ungeheurer Anzahl vermehrt, aber auch wesentlich in seinen Eigenschaften geändert und namentlich die erst durch Gewöhnung entstandene Milchergiebigkeit verloren hat. Im Allgemeinen sagt dem Rindvieh ein gemäßigter Himmelsstrich am besten zu und in Niederungen mit fettem Graswuchs (Brüchen und Marschländern) erlangt es die bedeutendste Größe. Von Natur schwerfällig und träge, befördert Ruhe sein Gedeihen und nachdem es verhältnißmäßig rasch sein Futter verschluckt hat, legt es sich nieder und wiederkäut. Seine Lebensdauer beläuft sich auf zwanzig Jahre, und man nennt in manchen Gegenden alles junge Rindvieh, so lange es außer dem Dünger noch keinen andern Ertrag gibt, was vor dem dritten Jahre nicht zu geschehen pflegt, überhaupt Jungvieh und geltes oder güstes Vieh. Außerdem heißt das Rind im ersten Jahre Kalb und später nennt man die Kuhkälber so lange Färsen oder Kalben, bis sie durch die Fortpflanzung unter die Kühe treten; zur Zucht bestimmte Stierkälber heißen nachher Bullen, Faselochsen, Samenrinder und Farren, die aber nicht zur Zucht, sondern zum Zuge oder zur Mast bestimmten werden in dem Alter von 11/2 Jahren verschnitten und Ochsen oder Zugochsen genannt. Ist bis zum dritten Jahre das junge Rindvieh mit Rücksicht auf seine künftige Verwendung so angemessen wie möglich heranzuziehen, so beginnt dagegen nachher die Benutzung durch Fortpflanzung, Milchertrag und Arbeit. Da jedoch die körperliche Ausbildung der Thiere bis gegen ihr siebentes Jahr hin fortdauert, dürfen anfangs besonders noch nicht zu große Ansprüche an dieselben gemacht werden, wenn man nachher desto länger einen gleichmäßigen Nutzen davon genießen will. Nach dem 12. und höchstens dem 14. Jahre nehmen Milchertrag und Arbeitsfähigkeit ab, und da die beste Zeit zur Mastung noch vorher eintritt, darf der Zeitpunkt jener Abnahme eigentlich nicht abgewartet werden, wenn man es als Schlachtvieh am vortheilhaftesten verwerthen will.

Groß ist die Zahl der Racen des Rindviehs, d.h. solcher Abarten desselben, welche sich durch Gestalt und Eigenschaften von andern unterscheiden und bei gleichmäßiger, gewohnter Pflege diese Eigenschaften mit Sicherheit auf ihre Jungen vererben. Nicht blos jedes Land, sondern jede Gegend, ja wo umfänglichere und sorgfältige Viehzucht getrieben wird, fast jeder einzelne Landwirth, hat eine eigne Race oder doch einen besondern Schlag oder Stamm, der von der allgemein verbreiteten in etwas abweicht. Denn außer dem Klima, dem Boden und der Fütterung übt die besondere Pflege und die Wahl der Zuchtthiere bei der Kreuzung ebenfalls einen großen Einfluß bei der Züchtung aus und blos durch Mitbeachtung der letzten Umstände wird es möglich, Rinder zu ziehen, welche sich zu bestimmten Nutzungsarten, zur Mast, zu Milchvieh, zum Zuge, vorzugsweise eignen. Die dauerhaftesten Racen in Bezug auf Vererbung ihrer Eigenthümlichkeiten sind die sogenannten Landracen, d.h. solche, die sich im Verlaufe langer Zeit in Gegenden gebildet haben, wo das Rindvieh noch die meiste Zeit im Freien verbringt, auf der Weide gemolken wird und in Hinsicht der Fortpflanzung sich völlig selbst überlassen bleibt. Doch findet man jetzt solche Racen selten noch rein, für [713] den Viehzüchter aber sind sie darum wichtig, weil er aus ihnen zu beurtheilen vermag, welche Eigenschaften die örtlichen Verhältnisse einer Gegend am Rindvieh begünstigen. Zur Erhaltung der vollen Eigenthümlichkeit einer Race ist übrigens die durchgängige Beibehaltung der Verhältnisse nothwendig, unter denen sie entstand und sich fortpflanzte, und eine irrige Meinung ist es daher, einen aus der Ferne bezogenen Rindviehstamm in seiner vollen Reinheit erhalten zu wollen, ohne ihm die gewohnten Verhältnisse seiner Heimat gewähren zu können. Dagegen ist es möglich, aus demselben eine neue und der veränderten Heimat sehr angemessene Race zu ziehen, und auf ähnlichem Wege sind in der That die meisten jetzt in Deutschland vorhandenen Rindviehracen durch Einführung besonders von schweiz. und friesländ. Vieh und Vermischung desselben mit dem einheimischen oder Landvieh entstanden. Doch läßt sich schon aus letzterm allein durch zweckmäßige Auswahl der Zuchtthiere und sorgfältige Pflege in den meisten Fällen eine den örtlichen Verhältnissen sehr entsprechende und höchst nutzbare Rindviehrace erziehen, was man das Veredeln einer Race durch sich selbst nennt. Für den Landwirth haben unter gewöhnlichen Verhältnissen solche Racen einen vorzüglichen Werth, welche Milchergiebigkeit, Mastungsfähigkeit und Tauglichkeit als Zugvieh, so weit es möglich ist, vereinigen, denn in einigermaßen hohem Grade ist dies bei keiner der Fall, indem stets die eine oder die andere Eigenschaft vorwaltet. Die vortheilhaftesten Bedingungen für die Verbindung jener Nutzungseigenschaften besitzen die Racen von mittler Größe und sie werden besonders an der steierischen, fränk. und voigtländischen geschätzt.

Die sehr zahlreichen Rindviehracen werden nach ihren allgemeinsten Eigenthümlichkeiten gewöhnlich in zwei Classen, in Niederungs-, und Gebirgsracen, eingetheilt, aus denen man aber neuerlich noch eine dazwischenliegende dritte, die Höhelandsrace, abgeschieden hat. Zu der Niederungsrace wird hauptsächlich das in den Tiefländern am deutschen und am baltischen Meere und in einigen weiter im Lande liegenden Gegenden an Flüssen und Seen einheimische Rindvieh gerechnet. Es zeichnet sich meist durch Größe, durch seine der Menge, wenn auch nicht der Güte nach bedeutendste Milchergiebigkeit und als Mastvieh aus, ist aber im Ganzen weichlicher Natur und verlangt ein gewähltes Futter. Als Zugvieh eignet sich diese Race nicht, weil sie zu wenig Ausdauer besitzt und zu kostbar zu erhalten ist. Man rechnet dazu namentlich die holl., die friesische, die oldenb. und bremer Race, das danziger und tilsiter Niederungs-oder Nehrungsvieh, die Oderbruchrace; als hochveredelte Niederungsrace gilt die aus holl. Vieh in England gezogene, hier abgebildete Holderneß- oder Teeswaterrace, welche die ansehnlichste Größe und gemästet ein Gewicht von 15–20 Ctrn. erreicht. Den Übergang zu den Höhelandsracen macht das am Niederrhein in Limburg, Brabant, Flandern gewöhnliche Vieh, das niedersächs., das als Milch- und Mastvieh gerühmte jütländische und das früher in großen Heerden als Schlachtvieh nach Deutschland getriebene poln. und ungar., eigentlich podolische Vieh von beinahe durchgängig blaugrauer Farbe. Das eigentliche Höhelandsvieh ist mittler Größe, dauerhaft und kräftig, daher zum Zuge sehr passend, in seinen übrigen Eigenschaften aber sehr verschieden. Es gehören dazu die bessern, noch rein erhaltenen deutschen Landracen, namentlich die fränk., die anspachische, die voigtländische und egerländer Race, das (schwäb.-) hallische und westerwälder Vieh, die engl. hochveredelten Herfordshire- und Devonshireracen; die engl. ungehörnte Race, die zur Mastung ausgezeichnete Dishleyrace (von dem Gute Dishleyfarm), die auch von ihrem Züchter Bakwellrace und neue Leicestershirerace heißt. Die Gebirgsracen sind nach Größe und Körperbau überaus verschieden, theilen aber die Eigenschaft, eine zwar verhältnißmäßige, jedoch durch vorzügliche Qualität ausgezeichnete Menge Milch zu liefern, und behalten dieselbe bei angemessener Pflege auch durch mehre Generationen, wenn sie in andere Gegenden versetzt werden. Insbesondere gehören dazu die schweiz., tirol. und vorarlberg. Racen, welche wieder in zahlreiche Unterabtheilungen zerfallen.

Wegen der vielseitigen und unmittelbaren Nutzungen, welche das Rindvieh durch Anzucht, Milch, Mastung, Verwendung beim Zuge und durch Dünger gewährt, nimmt die Rindviehzucht in den meisten Fällen die wichtigste Stelle in der landwirthschaftlichen Viehzucht ein. Es ist daher gewiß der Mühe werth, sowol der Zucht die gehörige und zweckmäßige Aufmerksamkeit zu schenken, als auch die Ernährung und die Pflege angemessen, die erstere jedenfalls immer so einzurichten, daß bei bestmöglichster Fütterung der verwendete Futterstoff sich durch den Ertrag der Viehzucht so hoch wie möglich bezahlt mache. Des Sommers wird die Ernährung durch grünes Gras und Futterkräuter auf der Weide oder indem das grüne Futter abgemäht im Stalle vorgelegt wird, bewirkt, was man vorzugsweise Stallfütterung nennt. Dieses Verfahren ist deutschen Ursprungs und neuerlich hauptsächlich in Gegenden heimisch geworden, welche stark bevölkert und sorgfältig angebaut sind, und wo daher der Boden in hohem Werthe steht. Nur bei dieser Fütterung kann sämmtlicher Dünger gesammelt, das für eine bestimmte Anzahl Vieh nöthige Futter aber auf der kleinsten Fläche gebaut werden. Halbe Stallfütterung heißt es, wenn das Vieh den Sommer über gleichzeitig im Stalle und auf der Weide, wohin man es täglich treibt, ernährt wird. Eine noch andere Art, dem Viehe sein Grünfutter im Freien anzuweisen, ist das sogenannte Pflöcken oder Tüdern, wobei jedes einzelne Thier einen Kapzaum mit einer angemessen langen Leine bekommt, mittels der es an einen in das zur Weide bestimmte Grasland oder Futterfeld eingeschlagenen Pflock befestigt und so genöthigt wird, den ihm angewiesenen Kreis abzufressen ohne anderweitige Futterpflanzen zertreten zu können. Das gehörige Maß und die Art des [714] Futters, welches für die gewünschte Nutzung des Viehs am vortheilhaftesten ist, wird natürlich immer von den nähern Umständen bedingt; im Durchschnitt und wenn z.B. nur gutes Wiesenheu gereicht wurde, hat man gefunden, daß ein Zugochse, um arbeitsfähig zu sein, täglich ungefähr 21/2 Pf. auf den Ctr. seines Gewichts, eine Milchkuh aber 3 Pf. braucht, um einen mäßigen Milchertrag zu geben. Es würde demnach ein Ochse von etwa 10 Ctr. des Tags 25 Ps., eine 8 Ctr. schwere Kuh aber 24 Pf. Heu verzehren. Man gibt jedoch nie blos Heu, sondern nur einen Theil und außerdem Antheile von Stroh, Schrot, Kartoffeln, Wurzeln, Kraut, Kleie und viele andere Futtermittel, wie sie die örtlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse gerade liefern; denn es ist für sich schon rathsam, dem Viehe das Futter nicht in einer Gestalt, sondern z.B. das Heu und Stroh nur theilweise zu Häcksel zerschnitten und das übrige lang, dazwischen aber noch Wurzeln, Kartoffeln oder ein anderes Futter zu reichen, weil es der Abwechselung wegen mit mehr Vergnügen frißt. Eine Hauptsache ist ferner, daß es demselben zu keiner Zeit an hinreichendem und gesundem Sausen fehlen darf und daß bei seiner ganzen Verpflegung Regelmäßigkeit und die möglichste Reinlichkeit vorwalten, denn auch davon hängt, wie von der Fütterung und Race, die Nutzung wesentlich ab. Der Milchertrag einer großen Marschkuh beträgt des Jahres an 3500 Kannen bei ausgesuchter Fütterung, von der aber recht gut zwei Kühe mittlern Schlages erhalten werden könnten. Aber auch eine ungefähr 6 Ctr. schwere Kuh muß bei reichlichem Futter des Jahrs über 1100 Kannen Milch geben. (S. Milch, Butter, Käse.) Die angegebenen Fütterungsverhältnisse gelten natürlich nicht bei der Mast oder Mastung (s.d.). Unter die von der Rindviehzucht handelnden Schriften gehören: Papst, »Anleitung zur Rindviehzucht und verschiedener Benutzung des Hornviehes« (Stuttg. 1829); Franz, »Praktische Anleitung zur rationellen Rindviehzucht mit Andeutung dessen, was der Landwirth deshalb jeden Monat zu beobachten hat« (Lpz. 1831); Hazzi, »Veredelung des landwirthschaftlichen Viehstandes« (Münch. 1824); Schweitzer's »Anleitung zum Betriebe der Landwirthschaft« (Lpz. 2 Bde., 1832–33).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 713-715.
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