Verantwortlichkeit

[570] Verantwortlichkeit ist die Verpflichtung von Personen, Andern für ihr Thun und Lassen Rede zu stehen und dasselbe zu vertreten, d.h. die Gesetzlichkeit und Rechtmäßigkeit davon darzulegen, oder in dem Falle, wo sie dies nicht im Stande sein sollten, die Nachtheile und selbst Strafen dafür zu tragen. Die Verantwortlichkeit setzt aber auch voraus, daß Jemand mit bestimmten Pflichten und Geschäften beauftragt worden sei und deren Ausführung übernommen habe, wie z.B. Vormünder, sowie öffentliche Beamte. Besondere Wichtigkeit hat in neuerer Zeit die Frage über die Verantwortlichkeit der Staatsdiener und Beamten erhalten, die freilich zu den unerlaßlichen Bürgschaften und Grundlagen der gesetzlichen, bürgerlichen Ordnung gehört, da die vortrefflichsten Einrichtungen nutzlos bleiben, wenn ihre Beobachtung nicht gesichert ist. Obgleich nun die Verantwortlichkeit der Staatsbeamten gegen den Souverain von jeher anerkannt ist, würde doch jene Sicherheit mangeln, wenn höhere Befehle die Beamten nöthigen könnten, die Gesetze nicht zu beobachten oder sie gegen desfallsige Verantwortlichkeit zu schützen vermöchten. Daher müssen die Beamten nicht blos ihren Vorgesetzten, der Regierung, sondern auch den Bürgern des Staates für die Gesetzlichkeit ihres Verfahrens verantwortlich sein, wie dies in der Organisation der Gerichte besteht. Jeder Richter kann von Denen, welche von ihm vorsätzlich oder durch Nachlässigkeit benachtheiligt worden sind, auf Ersatz und Genugthuung verklagt werden, was aber unbedingt voraussetzt, daß der Richter selbständig nach den bestehenden Gesetzen und Ordnungen urtheilen und durch höhere Befehle in der Ausübung des eigentlichen Richteramtes nicht beschränkt werden darf. Im Verwaltungssache glaubt man jedoch den untern Beamten keine solche Unabhängigkeit und das Recht nicht zugestehen zu dürfen, wegen bezweifelter Gesetzmäßigkeit höherer Befehle die Ausführung derselben zu beanstanden, weil dadurch Stockungen und Verwirrungen im ganzen Geschäftsgange veranlaßt werden könnten. Ist das nun auch zum Theil begründet, so folgt daraus doch keineswegs, daß nicht für gewisse, von den Gesetzen so bestimmt ausgesprochene Verhältnisse, daß davon kein Befehl eine Abweichung zu rechtfertigen vermag, auch der untergeordnete Beamte verantwortlich bleibt. Dahin gehören z.B. in der Verfassung eines Staates etwa enthaltene Vorschriften, wie: daß Niemand ohne vorgängige Entschädigung zur Abtretung seines Eigenthums für öffentliche Zwecke verbunden ist, Niemand ohne richterliches Urtheil mit einer Strafe belegt werde, keine Abgabe ohne vorherige, gesetzliche Verwilligung erhoben werden dürfe; ebenso kann Ärzten nicht befohlen werden, nach ihrer Überzeugung schädliche Mittel anzuwenden oder die nach derselben nothwendige Hülfsleistung in besondern Fällen zu unterlassen. In den constitutionnellen Monarchien übernehmen die Minister durch die Contrasignatur (s.d.) der Verordnungen des Regenten, welche ohne dieselbe nicht die gesetzliche Form besitzen würden (s. Constitution), die Verantwortlichkeit für dieselben. Wie weit diese gehe und in welchen Fällen sie eintrete, hat man namentlich in Frankreich durch Gesetze fester zu bestimmen versucht, als es durch die bloße Anerkennung des Grundsatzes geschieht; übrigens gehören dort und in England derartige Anklagen vor die Pairs, von welchen auch die Minister Karl X. wegen der die Juliusrevolution zunächst herbeiführenden Ordonnanzen von 1830 zu lebenslänglicher Gefangenschaft verurtheilt wurden. In andern Ländern, z.B. in Sachsen und Würtemberg, ist für Anklagen der Stände oder Staatsbürger gegen die Minister ein besonderer Staatsgerichtshof eingerichtet worden und in andern deutschen Ländern sind dieselben vor die Oberappellationsgerichte gewiesen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 570.
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