Wettrennen

[706] Wettrennen, das um die Wette Laufen, Reiten, Fahren, auch ledige Laufen dazu abgerichteter Pferde nach einem Ziele oder über eine abgemessene Entfernung, machte schon einen wesentlichen Theil der öffentlichen Spiele des Alterthums (s. Olympia und Circus) aus und dauerte zunächst im griech. oder oström. Kaiserthume fort, wo sich in Konstantinopel aus den Parteien bei den Pferderennen sogar politische gestalteten und der Schauplatz derselben, der Hippodrom, seine frühere Bestimmung noch in der jetzt türkischen Benennung Atmeidan, der Pferdeplatz, verräth. In neuerer Zeit sind vorzüglich die England eigenthümlichen Pferderennen berühmt geworden, und sie machen dort eine Art Nationalbelustigung aus, zu denen oft viele Tausende Zuschauer sich einfinden. Schon zu König Heinrich II. Zeit im 12. Jahrh. werden sie erwähnt und während der Regierung der Königin Elisabeth scheinen sie auf eine Weise betrieben worden zu sein, daß der Wohlstand des Adels darunter litt. In früherer Zeit hielt man nur Privatrennen, jetzt aber finden des Jahres in fast allen Grafschaften auch große königl. Rennen statt, bei welchen goldene und silberne Schalen als Preise ausgesetzt sind, an deren Stelle neuerdings eine Summe von 100 Guineen getreten ist. Die berühmtesten Pferderennen werden bei dem sonst ganz unbedeutenden Flecken Newmarket gehalten, der halb in Cambridge- und halb in Suffolkshire liegt; außerordentlich besucht sind ferner die Rennen zu Ascot bei London, zu Epsom in der Grafschaft Surrey, zu Ipswich in Suffolk und zu Manchester. Die Rennbahn, von den Engländern Turf genannt, ist bald rund, bald drei- und viereckig oder geradeaus gelegt und die Entfernung beträgt in Newmarket höchstens vier engl. oder etwa eine deutsche Meile. Leitung der Wettrennen und Entscheidung vorkommender Streitigkeiten besorgt ein Ausschuß dazu gewählter Privatleute, die gewöhnlich mit zu den Eigenthümern der Pferde gehören. Für jedes derselben, welches mitläuft, wird eine bestimmte Geldsumme eingesetzt, welche zuweilen über 1000 Pf. St. beträgt, und die sämmtlichen Einlagen bilden den Gewinn des Siegers, d.h. des Pferdes, welches an dem zum Ziele dienenden Pfahle zuerst mit dem Kopfe anlangt. Außerdem wetten die Besitzer der Rennpferde oft noch mit andern Personen, sowie die Zuschauer [706] unter sich, und es werden dabei sehr große Summen gewonnen und verloren. Die England eigenthümliche Art der dazu verwendeten Rennpferde oder Wettrenner ist dort durch Vermischung mit arabischen Pferden gezüchtet worden und sie werden mit der größten Sorgfalt abgewartet. Über ihre Abstammung sind die genauesten Zeugnisse vorhanden und man bezahlt für eins oft mehr als 20,000 Thlr. Das ausgesuchte Futter wird ihnen zugewogen, ihre Ställe sind mit Ofen versehen und gegen die Zeit der Rennen wird die Aufmerksamkeit verdoppelt, um sie in den dazu vortheilhaften Zustand zu versetzen. Da jedoch die Last, welche ein Pferd zu tragen hat, nothwendig auf die Schnelligkeit seiner Bewegung einwirkt, so wird mit aller Gewissenhaftigkeit darauf gehalten, daß ein Renner so viel zu tragen bekommt wie der andere. Es wird deshalb jeder einzelne Reiter oder Jockey sammt dem Sattel und Zaum genau gewogen, und fällt das Gewicht leichter aus, als übereingekommen ist, so muß der Jockey das Fehlende in die Tasche stecken. Beim Rennen stellen sich die Reiter hinter einem vorgespannten Seile an der Bahn auf, welches auf ein Zeichen fällt und nun beginnt das Wettrennen. Nach beendigtem Rennen werden die Reiter nochmals gewogen, um die Überzeugung zu gewinnen, daß keiner sich unterwegs erleichtert habe. Die Pferde werden von bereitstehenden Stallbedienten sogleich abgetrocknet und gerieben, erhalten starken Wein oder Franzbranntwein eingegossen, werden in Decken gehüllt und herumgeführt oder weggebracht, wenn sie nicht mehr rennen sollen. Derselben sorgfältigen Vorbereitung, wie die Thiere, unterliegen auch die Jockeys, ihre Reiter, welche sich durch Schwitzen, Hungern, Arbeiten künstlich abmagern, um die erfoderliche Leichtigkeit zu besitzen und gewöhnlich Männer in den dreißiger Jahren sind. Beim Rennen bleiben bald die weniger raschen oder ausdauernden Pferde zurück und erst wenn die übrigen dem Ziele sich nähern, bieten die Reiter Alles auf, einander den Vorsprung abzugewinnen. Als Beispiele außerordentlicher Leistungen berühmter engl. Rennpferde werden angeführt, daß Flying Childers, welches für das schnellfüßigste aller je vorhanden gewesenen engl. Rennpferde gilt, in einer Minute eine engl. Meile, und 1721 vier engl. Meilen in 6 Min. 48 Sec. zurücklegte; bei jedem Satze wurden während des Rennens 25 F. Boden von ihm übersprungen. Ein anderes mit Namen Eclipse legte vier Meilen in acht Minuten zurück. Das Rennpferd Shark gewann in den Jahren 1774–78 an Preisen und baarem Geld über 17,000 Guineen, verlor 4000 und war überhaupt bei 29 Rennen. Eine andere, ebenfalls England eigne Art Wettrennen sind die sogenannten Kirchthurmrennen (Steeple-chases), bei welchen der in der Ferne sichtbare Thurm einer Kirche zum Ziele genommen wird und auf möglichst geradem Wege mit Überwindung aller Hindernisse erreicht werden muß. – Da die Wettrennen von vielen, obgleich nicht ohne Widerspruch von andern Seiten, für eines der wesentlichsten Beförderungsmittel der Pferdezucht gehalten werden, hat man in den letzten Jahren in Frankreich, in Neapel (seit 1830), sowie an mehren andern Orten in Deutschland (in München seit 1811 bei dem jährlichen Octoberfeste, in Preußen seit 1829 bei Berlin, bei Torgau, in Neubrandenburg, Aachen u.s.w.), im Holsteinschen und Mecklenburgischen Pferderennen eingerichtet, welche große Theilnahme finden. Den Rennen der edlern Pferde folgen dabei auch welche mit gewöhnlichen und Bauerpferden, daher Bauerrennen genannt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 706-707.
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