Ketzergericht, geistliches

[581] Ketzergericht, geistliches, kirchliche Inquisition (inquisitio haereticae pravitatis), heißt das für Ausmittelung und Niederhaltung von Häresien sowie für Untersuchung und Bestrafung der Irrlehrer, Apostaten und ihres Anhanges niedergesetzte geistliche Gericht. Als äußere von Gott gestiftete Gesellschaft hat die Kirche nicht nur das Recht, sondern die Pflicht. Ketzereien abzuwehren und die Urheber und Verbreiter derselben unschädlich zu machen. In den ersten Jahrhunderten war Ausschließung von der Kirchengemeinschaft die Strafe der Ketzer. Von Konstantins d. Gr. Zeit an wuchsen Kirche und Staat mindestens insoweit zu Einem Organismus zusammen, daß Ketzerei vom ganzen Mittelalter nicht nur für kirchen- sondern auch für staatsgefährlich gehalten u. der von der Kirche abgeurtheilte u. als schuldig befundene Ketzer von den weltlichen Gerichten mit Verbannung, Verlust des Vermögens und je nach Umständen mit Gefängniß u. sogar mit dem Tode bestraft wurde. Das erste Beispiel einer Ketzerhinrichtung soll 385 n. Chr. Kaiser Maximus in Trier gegeben haben, indem er einen Bischof Priscillian von Abila mit 2 Anhängern hinrichten ließ. Frühzeitig bildete sich in der Kirche gegen Ketzer u.a. Verbrecher ein ordentlicher, auf dem Anklageverfahren beruhender Prozeß aus. Erst mit Innocenz III. (s. d.) kamen, hauptsächlich veranlaßt durch das communistische Treiben der Albigenser (s. d.), eine großartige Organisation des K. und der Inquisitionsprozeß (s. d.). Dieser Papst verordnete, daß jeder Bischof seinen Sprengel jährlich ein- oder zweimal bereisen, in jeder Pfarrei zuverlässige Männer auswählen und dieselben alle 2 Jahre eidlich dazu verpflichten sollte, Ketzereien nachzuspüren und ihm darüber Bericht zu erstatten; da viele Bischöfe dieser Verordnung nicht genügend nachkommen konnten od. wollten, so sandte der Papst eigene Legaten als Ketzerrichter, Inquisitoren, deren Gerichtsbarkeit neben der [581] bischöflichen sich geltend machte. Anfangs waren diese K. ein den Händen der Cistercienser, seit Gregor IX. (1227 bis 1241) in denen der Dominikaner und wurden ständig in Italien 1251 (nachdem Kaiser Friedrich II. für Ketzer den Feuertod u. Vermögensverlust verordnet hatte), in Spanien, Portugal, Frankreich. In der Republik Venedig wurde die kirchliche Inquisition durch die Dogen 1249 dauernd, in Frankreich durch Philipp den Schönen 1312 für längere Zeit zur Staatsinquisition, 1478 aber kam die span. und 1492 die portugies. Hof- und Staatsinquisition (s. Ketzergericht, weltliches) auf, die mit der kirchlichen zusammenschmolz, aber nichts weniger als einen vorherrschend kirchlichen Charakter oder das Wohlgefallen der Päpste für sich hatte. Im deutschen Reiche versuchte man die Einführung eines ständigen K.es, allein das Treiben des Konrad von Marburg (s. d. Art.) in Norddeutschland vereitelte den Versuch. In Deutschland und England blieb die kirchliche Inquisition bei den bischöflichen Ordinariaten. Nachdem in Frankreich die inquisitorischen Staatsgerichtshöfe besonders gegen die Tempelherren gebraucht worden waren und im Reformationszeitalter viele Calvinisten, 1528 sogar den eigenen Großinquisitor Louis de Rochette verbrannt hatten, kam 1559 das K. an die Parlamente, 1560 aber an die Bischöfe u. 1635 wurde in Frankreich der letzte Ketzer verbrannt. Im 16. Jahrh. aber erhielt das K. seine heutige Gestaltung. Paul III. bestellte nämlich 1542 als Generalinquisitoren für die ganze kathol. Welt 6 Cardinäle, Pius V. (1566 bis 1572) vermehrte die Zahl auf 8 u. verlieh ihnen ausgedehnte Vollmachten, Sixtus V. (1585–1590) endlich stellte dieses K. als sacrum officium oder congregatio inquisitionis an die Spitze der 15 Cardinalscongregationen. Zur Competenz des K.es gehören: offenkundige Häresie, Schisma, Apostasie, Magie u. Aberglauben anderer Art, Mißbrauch der hl. Sacramente, endlich Fälle, die das Vorhandensein einer Häresie vermuthen lassen. Im Mittelalter war die Competenz der K.e umfassender, das Strafrecht aller Länder blutig, der Tod die allgemeine Strafe hartnäckiger Ketzerei, aber bei weitem die meisten Angeschuldigten kamen mit Kirchenbußen davon, deren Erstehung nicht als schimpflich betrachtet wurde. Innocenz IV. hatte 1252 verordnet, daß die K.e ausnahmsweise (denn sonst war dies bei geistlichen Gerichten niemals der Fall) auch die Folter anwenden dürften, aber mit den Strafgesetzgebungen der verschiedenen Länder milderten sich auch die Strafen der K.e, die Folter, von vornherein nur mit großen Beschränkungen gebraucht, verschwand. bevor sie in weltlichen Gerichtshöfen aufgegeben wurde. Die Zusammensetzung sowie der Geschäftsgang der kirchlichen Inquisition lassen heutzutage nichts zu wünschen übrig. Daß Inquisitionen aller Art seit dem 16. Jahrh. bei allen protestantischen Sekten einheimisch wurden, und z.B. in Großbritannien in Verfolgung von Katholiken, bei uns in Verfolgung von Hexen das strengste kirchliche K. überboten, sind bekannte Thatsachen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 581-582.
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