Ehe

[160] Ehe (coniugium) ist die nach gesetzlichen Vorschriften eingegangene Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zu lebenslänglicher, geistig-leiblicher Gemeinschaft. Ihr physischer Zweck ist die Fortpflanzung des Menschengeschlechts, ihr sittlicher die Entfaltung der Liebe. Ihre Bestimmung kann sie vollständig nur erfüllen als Monogamie. Sittlich ist eine Ehe nur dann, wenn zwei geistig und leiblich Mündige sich aus Liebe und mit Bewußtsein ihrer gesellschaftlichen und ehelichen Pflichten zu ausschließlicher Lebensgemeinschaft vereinigen. Die Ehe ist die Mutter der Kultur und Sittlichkeit. Denn aus ihr entspringt die Familie, die Achtung vor dem Weibe, der Staat; sie führt und pflegt die Sympathie und erfordert zahlreiche Tugenden: Selbstverleugnung, Geduld, Mäßigkeit, Offenheit, Wohlwollen, Versöhnlichkeit, Tatkraft und Treue. Da, juristisch angesehen, die Ehe ein Vertrag ist, so genügt zu ihrer Gültigkeit die öffentliche Bekanntmachung vor einem Beamten (Ziviltrauung); so urteilte auch bis 1563 die Kirche. Erst das Tridentiner Konzil in der Sessio 24 (Decretum: Tametsi) forderte die kirchliche Einsegnung, da die Ehe ein Sakrament sei. Die evangelische Kirche sieht in der Ehe kein Sakrament, aber ein sittlich-religiöses Verhältnis, und seit dem 17. Jahrhundert fiel in ihr der eigentliche Rechtsakt der Eheschließung, die Trauung, den Geistlichen zu, welche dies Recht bewahrt haben, bis die Gesetzgebungen des 19. Jahrhunderts[160] dies Verhältnis aufgehoben haben. Obgleich seit 1876 in Deutschland, Belgien, Frankreich u. a. die Zivilehe legitim ist, hat sich trotzdem die Sitte ohne wesentlichen Abbruch erhalten, einen so wichtigen Schritt, wie das Heiraten ist, nicht ohne eine religiöse Feier (kirchliche Trauung) zutun.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 160-161.
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