Hermes [2]

[221] Hermes, 1) Johann Timotheus, Schriftsteller, geb. 31. Mai 1738 in Petznick bei Stargard, gest. 24. Juli 1821 in Breslau, studierte in Königsberg Theologie, bekleidete mehrere geistliche Ämter und war zuletzt Superintendent und Professor der Theologie in Breslau. Unter Hermes' Schriften, die unter dem Einfluß Richardsons und Wielands stehen, erregten die »Geschichte der Miß Fanny Wilkes« (Leipz. 1766, 2 Bde.; 3. Aufl. 1781), »Sophiens Reise von Memel nach Sachsen« (das. 1770–75, 5 Bde.; 3. Aufl. 1778, 6 Bde.) und »Für Töchter edler Herkunft« (das. 1787, 3 Bde.), namentlich aber der zweitgenannte Roman, ein gewisses Aufsehen. Goethe und Schiller verspotteten ihn in den Xenien wegen der verfänglichen Situationen, die sich trotz der moralisierenden Tendenz in seinen Romanen finden. Eine geistreiche Analyse von »Sophiens Reise« gab Prutz im »Literarhistorischen Taschenbuch« (Bd. 6, 1848, wiederholt in dessen »Menschen und Bücher«, Leipz. 1862).

2) Georg, Begründer einer philosophisch-dogmatischen Schule in der katholischen Kirche, geb. 22. April 1775 in Dreierwalde, gest. 26. Mai 1831 in Bonn, wurde 1807 Professor der Dogmatik in Münster, 1819 an der Universität in Bonn. In seinen Schriften: »Untersuchungen über die innere Wahrheit des Christentums« (Münster 1805), »Philosophische Einleitung in die christkatholische Theologie« (das. 1819; 2. Aufl. 1831–34, 2 Bde.), »Christkatholische Dogmatik« (hrsg. von Achterfeldt, das. 1834–1836, 3 Bde.) versuchte H., an dem die kritische Philosophie nicht spurlos vorübergegangen war, eine Erkenntnistheorie aufzubauen, die so angelegt war, daß sie mit einer gewissen Notwendigkeit auf den katholischen Glauben führte (Hermesianismus), und zog allmählich eine große Anzahl von Schülern (Hermesianer) heran, die bald die philosophischen und theologischen katholischen Lehrstühle in Westfalen und Rheinpreußen einnahmen. Solange der Erzbischof Spiegel von Köln lebte, blieb der Hermesianismus unangefochten; nach dessen Tode 1835 jedoch verdammte ein Breve Gregors XVI. ihn als ketzerisch. Der neue Erzbischof, Droste zu Vischering (s. d.), schritt sofort gegen die Hermesianer ein, die sich umsonst in Rom zu rechtfertigen suchten. Die Professoren J. W. Braun (s. Braun 2) und Achterfeldt (s. d.) in Bonn wurden 1844 ihres Lehramtes enthoben. Die Professoren des Trierer Seminars sowie Baltzer in Breslau, der sich bereits unter den Einfluß der Lehre von Ant. Günther (s. d., S. 524) begeben hatte, unterwarfen sich. Die meisten spätern Konflikte zwischen Staat und katholischer Kirche in Preußen (bis 1848) haben in näherm oder entfernterm Zusammenhang mit dem Hermesianismus gestanden. Das Hauptorgan der Hermesianer, zu denen außer den Genannten noch Esser, Elvenich, Droste-Hülshoff, Rosenbaum, Hilgers u. a. gehörten, war die »Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie« (Bonn 1832–52). Vgl. Esser, Denkschrift auf G. H. (Köln 1832); Elvenich, Acta Hermesiana (Götting. 1836); »Acta Romana« (hrsg. von Braun und Elvenich, Hannov. 1838); Niedner, Philosophiae Hermesii explicatio (Leipz. 1839); Stupp, Die letzten Hermesianer (Wiesbad. 1844–45, 5 Hefte).

3) Otto, deutscher Politiker, geb. 10. Sept. 1838 in Meyenburg, studierte Pharmazie und ward 1871 Direktor des Aquariums in Berlin. Seit 1873 einflußreiches Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, seit 1886 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, gehörte er 1881–84 und seit 1887 dem Reichstag an, in dem er sich der freisinnigen Volkspartei anschloß. – Sein älterer Bruder, Hugo, war 1871–77 und 1890–93 auch Reichstagsmitglied.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 221.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: