Kosmopolitische Pflanzen

[528] Kosmopolitische Pflanzen, über die ganze Erde oder wenigstens einen großen Teil derselben verbreitete Gewächse. Während die überwiegende Mehrzahl der Blütenpflanzen ein beschränktes Areal bewohnt, dessen Grenzen teils durch klimatische Faktoren oder geographische Schranken, teils durch die Art der Floraentwickelung aus Zuständen früherer Erdepochen bestimmt werden (s. Pflanzengeographie), existiert eine kleine Zahl (etwa 100) von Phanerogamen, deren Wohngebiet ein Drittel der Erdoberfläche oder mehr umfaßt. Naturgemäß wachsen derartige Pflanzen, wie auch alle übrigen Gewächse, immer nur zerstreut an solchen Stellen, die ihren speziellen Lebensbedingungen zusagen, so daß also kleinere oder größere Lücken in ihrem Verbreitungsgebiet vorkommen. In allen fünf Weltteilen treten Wassergewächse und Uferpflanzen, wie Arten von Najas, Ceratophyllum, Lemma, Zannichellia, Ruppia, Potamogeton, Scirpus, Glyceria, Phragmites u. a., auf, die infolge günstiger Verbreitungseinrichtungen, wie z. B. reichliche vegetative Sproßbildung, Schwimmfähigkeit einzelner Teile oder der ganzen Pflanze u. dgl., im Zusammenhang mit der leichten Beweglichkeit des fließenden Wassers über größere Räume fortzuwandern vermochten, als andre weniger expansible Wasserbewohner; bei manchen mögen auch besondere Umstände, wie z. B. die Verschleppung von Samen oder Sproßteilen durch Wasservögel, mit ins Spiel getreten sein. Die Annahme, daß die weite Verbreitung dieser Pflanzengruppe etwa aus einer vorangehenden, ältern Epoche der Floraentwickelung herstamme, läßt sich nicht beweisen. Jedenfalls aber sind die meisten genannten Wassergewächse ohne direkte oder indirekte Einwirkung des Menschen über den Erdkreis gewandert. Anders verhält es sich mit einer zweiten Gruppe von Ubiquisten (d. h. überall auftretende Pflanzen), die auf Schutt, an Wegen und Straßen, auf Äckern, Kulturländereien verschiedener Art und ähnlichen Standorten als Unkraut zu wachsen pflegen und sich unter deutlichem Einfluß der von Europa ausgehenden Kultur nach fremden Weltteilen oder in umgekehrter Richtung bewegt haben. Hierher gehören z. B. Stellaria media, Urtica urens, Chenopodium album, Solanum nigrum, Oxalis corniculata, Poa annua u. a., also vorwiegend niedrige, unscheinbar blühende, kurzlebige und schnellkeimende Gewächse, die sich aber durch. reichliche Samenbildung auszeichnen, einen starken Gehalt des Bodens an anorganischen Salzen nicht scheuen und gleichzeitig gegen klimatische Unterschiede sehr unempfindlich sind. Sie erscheinen als die Proletarier unter den Pflanzen und herrschen in der Flora von Gebieten vor, die der Kulturwirtschaft des Menschen unterliegen. Vielfach ist auch eine direkte Einschleppung dieser Pflanzen mit Getreidesamen, Warensendungen u. dgl. in überseeische Länder beobachtet worden. Eine dritte Gruppe von Kosmopoliten bildet endlich eine Reihe kryptogamer Pflanzen, wie zahlreiche niedere Pilze, Süßwasseralgen, Flechten, auch einige Moose und Farne, deren weite Verbreitung durch die Kleinheit und Beweglichkeit ihrer vom Winde fortgeführten Sporen veranlaßt worden ist.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 528.
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